Ohne Übertreibung: Ninja oder Shinobi sind das Coolste, was die japanische Geschichte zu bieten hat. Spionieren, Infiltrieren, Diebstähle, Giftmorde – all die Dinge, für die die ehrenhaften Samurai-Krieger nicht infrage kamen, übernahmen die Ninja-Geheimdienste. Im  Bürgerkriegsjahrhundert (Sengoku-Zeit 1477 bis 1573) wurden sie deshalb für rivalisierende Feldherren zu einem unverzichtbaren Machtfaktor.

Teenage Mutant Ninja-Fakten

 Unser Wissen über Ninja kam nicht aus den Geschichtsbüchern, sondern vor allem aus Filmen. Nachdem in dem James Bond-Streifen „Man lebt nur zweimal“ aus dem Jahre 1967 ein schwarz vermummter Mörder Sean Connerys frisch Angetraute mit einem giftgetränkten Faden durch eine Deckenluke gemeuchelt hatte, begann sich die westliche Zuschauerwelt auszumalen, wozu ein solcher Spezialist wohl noch im Stande sein könnte.

Es folgende Flut an Martial Arts-Filmen von „Ninja-Commando“ bis „American Fighter“ gaben darauf teilweise recht lustige Antworten. Seitdem wurde jede Generation mit neuen Shinobi-Idolen beliefert – Rikimaru aus Tenchu, Lila aus Dragon Ball, Hanzo aus Samurai-Showdown oder der Ninja-Schüler Naruto. Für mich gab’s mit Beginn der 90er Jahre die Teenage Mutant Ninja Turtles und die C64er-Last Ninja-Videospiele-Serie.

Aber keine Sorge: Die historischen Fakten stehen der Fantasie der weltweiten Ninja-Fangemeinden in nichts nach.  

Kleider manchen Spione

Das fängt beim Kampfanzug an. Bekannt ist die dunkelblaue oder schwarze Ninja-Bekleidung, die vom Schnitt her an einen Karate– oder Judoanzug erinnert, bei dem Ärmel und Hosenbeine am Körper festgezurrt werden. Das Gesicht bis auf einen schmalen Seeschlitz vermummt.

Wenn man bedenkt, dass die Ninja (Die spurlos Verschwindenden) eigentlich mehr Geheimdienstler als Einbrecher waren und sich zum Sammeln von Informationen unter die Bevölkerung mischen mussten, ist klar, dass es kein wirkliches Standard-Kostüm geben konnte.

Ein Onmitsu (Spion) konnte jeder sein: Ob Bauer, Schauspieler, Kaufmann, Samurai, Wandermönch oder Gaukler. Beliebte Verkleidungen waren vor allem diejenigen, die das Passieren der streng bewachten Grenzübergänge einfacher machten. Und natürlich arbeiteten auch Frauen als Agenten der Fürsten. Die so genannten Kunoichi kamen in Gestalt von Prostituierten oder Tempeldienerinnen sogar noch viel näher an ihre Zielpersonen heran, als ihre männliche Kollegen.

Es gibt zwei Theorien zum Ursprung der Bezeichnung Kunoichi. Die erste erklärt く ku  ノ no 一 ichi als Geheimcode aus den Bestandteilen des Kanji-Schriftzeichens für 女onna (Frau).
Die zweite übersetzt kyu no ichi, als 9 plus 1 – damit sind die neun Körperöffnungen zum Verstecken von Geheimnachrichten gemeint. Frauen haben eine mehr, daher plus eins. …Mir gefällt die Erste.

Griff in die Mordwerkzeugkiste

Mit den Waffen ist es eine ähnliche Geschichte wie mit der Kleidung. Das Besondere an den Ninja war, dass sie überall mit der Umgebung verschmelzen konnten. Ein Waffenarsenal im Rucksack hätte dies unmöglich gemacht.

Ninja- Attentäter töteten vor Ort, mit all dem, was sie am Einsatzort für diesen Zweck gebrauchen konnten – also in einem Restaurant mit herumliegenden Essstäbchen oder im Zimmer einer Konkubine ein paar Haarnadeln. Für Spezialeinsätze gab es zudem ein paar Gimmicks, die auch der gute Q  für Ian Flemmings Top-Agenten aus dem Hut hätte zaubern können: Kletterhaken, Einbruchswerkzeuge, Mini-Schlauchboote (für jeden Fuß eines), Eisenkrallen, Rauch- und Brandbomben.

Im Gegensatz zu den Samurai, die außer dem Bogen lange Zeit auf unehrenhafte Fernkampfwaffen verzichteten, stand den Ninja alles zur Verfügung, was effektiv zum Töten genutzt werden konnte, also auch Wurfsterne und -messer (Shuriken) in allen Variationen, Makibishi-Reißnägel, Blasrohre mit Giftpfeilen und auch erste Feuerwaffen für  Sniper-Einsätze.

Mit CQC und Hokuspokus

Ihre Spezialtechniken (Jutsu) gaben die  Shinobi von Generation zu Generation weiter – vor allem Giftmischerei, Heilmethoden, Nahkampf- und Waffentechnik. Die Meditationsübungen, wie das Kuji-kiri, mit dem der Körper abgehärtet und die  inneren Kräfte mobilisiert wurden, interpretierten Beobachter als eine Art „Ninja-Magie“.

Bald vermischten sich Legenden um die Fertigkeiten der Ninja mit denen der japanischen Fabelwesen. Ninja konnten angeblich in einem Wirbel aus Blättern verschwinden wie die Tengu,  Feuerspucken, über den Bäumen fliegen, mit Tieren sprechen oder sich zu einer kleinen Armee vervielfachen.

Lautlose Auftritte auf der historischen Bühne

Unter der Oberfläche aller Legenden gibt es in historischen Quellen auch knallharte Ninja-Fakten.

Japans Tenno (Kaiser) griffen bereits seit dem siebten Jahrhundert auf Spezialisten zurück, die die Kunst der verdeckten Kriegsführung beherrschten. So zum Beispiel auch Shotoku Taishi (574 bis 622), der nach den Grundsätzen Sun Tsus „Art of War“ straff organisierte Spionagenetzwerke unterhielt, um die Provinzen zu kontrollieren.

Parallel dazu trainierten die Mönche buddhistischer Tempeln ihre eigene Leibgarde auf Grundlage von uralten chinesischen Kampftechniken und Meditationsübungen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit die Urform des Ninjutsu, die in den verschiedenen Geheimbunden veredelt und zur tödlichen Dienstleistung ausgebaut wurde.

Guerilla-Taktik statt offene Zweikämpfe

Richtig los ging es damit in der Sengoku-Zeit (1477 bis 1573) nachdem ein Ninja-Kommando unter Mochizuki Izumo die Armee der Ashikaga-Sippe wochenlang in Schach gehalten hatte. Auf seinem Feldzug gegen die Fürstentümer, die den Ashikaga-Shogun nicht bei seinem Putsch unterstützt hatten, zerstörten dessen Samurai 1487 auch die Burg der Rokkaku-Sippe. Die Überlebenden flüchteten in die Wälder der Ninja-Klane von Koga. Keiner der Verfolger und Späher der Ashikaga kehrten in die Feldlager zurück.

Rokkaku hatten einen Pakt mit den Koga, die sich in den Bäumen und unter der Schneedecke versteckten und jeden meuchelten, der sich in ihr Gebiet vorwagte. Außerdem vernebelten die Ninja mit Rauchbomben das Tal in dem die Ashikaga lagerten, bis niemand mehr die Hand vor Augen sehen konnte. Mit einem Spezialcode aus Tierlauten verständigten sie sich untereinander, während sie das Fort stürmten und die Feinde so effektiv in Schach hielten, dass die Rokkaku einen Vernichtungsschlag ausführen konnten.

Die Wendeverlierer aus Koga und Iga

Danach wollte kein Kriegsherr mehr auf die Experten der Guerilla-Kriegsführung verzichten. Sengoku-Feldherr Takeda Shingen zum Beispiel hielt sich einen Spionagering aus mehreren hundert weiblichen Ninja, die überall in den Bordellen und Tempeln des Landes stationiert wurden.

 Tokugawa Ieyasu (später ab 1603 Herrscher über ganz Japan) wiederum verbündete sich mit den Iga-Ninja. Deren Anführer Hattori Hanzo schleuste Tokugawa einmal mitten durchs Feindesgebiet, als dieser von seinen Haupttruppen abgeschnitten worden war. In Tokyo ist deshalb heute noch eine U-Bahnstation nach ihm benannt, in Computerspielen ist er allgegenwärtig und auch Quentin Tarrantino konnte seine Ideen-Langfinger nicht von dem Meister-Shinobi „Hanzo the Demon“ lassen.

Aber der Auftritt der Ninja auf der historischen Bühne dauerte allerdings nicht lange. Tokugawas Widersacher Oda Nobunaga versetzte dem Großteil der Geheimdienstleistern den Todesstoss. Seinen Massakern an „Unruhefaktoren“ im Land fielen auch die Koga und Iga-Familien zum Opfer. Wer flüchten konnte, schloss sich dem Spionagenetzwerk Tokugawa Ieyasus an. Als dieser jedoch das Land beherrschte und keine Geheimdienste mehr unterhalten wollte, tauchten die letzten Ninja in den Städten unter und erlangten als Gesetzlose traurige Berühmtheit.

Geschichtsrätsel, Wunschträume, Ninjapower & Plumpsklo-Mord

Die Ninja wurden schnell zu Legenden und ihre Techniken in Geschichten immer fantastischer. Bewunderer schrieben beinahe jeden rätselhaften Tod in der Sengoku-Ära nachträglich einem Ninja-Attentat zu.

Starb Uesugi Kenshin also auf dem Abort durch einen präzisen Stich in den Unterleib, ausgeführt von einem Ninja, der im Plumpsklo lauerte – oder war es doch nur an Magenkrebs? Verunglückte Ninja-Meister Hattori Hanzo wirklich tödlich bei der Falkenjagd oder wurde er mitsamt seiner Truppe bei einer Bootsfahrt von Fūma Kotarōs Schnorchel-Ninjas in Brand gesetzt? Alles tolle Ideen, bei denen man ruhig mal Fakten Fakten sein lassen mag.

Ninja-Stuff zum Nachlesen

 Matt Alt hat mit „Ninja-Attack“ einen fantastischen Nachfolgetitel von seinem Yokai-Survivalguide herausgebracht. Diesmal stellt er die wichtigsten Ninja-Persönlichkeiten der Geschichte vor. Neben historischen Helden gibt’s auch einen Crashkurs zu den Shinobi in Romanen und Theaterstücken. Cover sieht nach Spaßbuch aus, innen gibt es aber die coolste Zusammenstellung aller Ninja-Fakten.  

Steven Turnbull ist Kriegshistoriker, der die wirklich fesselnden Themen behandelt – auch wenn diese in Japanologen-Kreisen aus falscher Arroganz belächelt werden. Das hier ist ein absolut lesenswertes Buch zu „Ninja und Kampfmönchen“.

„Secrets of the Ninja: Their Training, Tools, and Techniques“ von Hiromitsu Kuroi ist ein toller Bildband, eine Art schlaues Buch für Nachwuchs-Ninja. Welche Waffen gibt es, Shinobi-Workout oder Ninja-Tofu-Gerichte: Alles drin und liebevoll illustriert. Für Fans gibt es bereits einen Nachfolgeband. Die coolste Seite zum Thema ist meiner Meinung nach „Vintage Ninja„. Hier dreht sich alles nur um die Shinobi: Filme, Comics, Bücher oder Action-Figuren.  

Ninja-Reisetipp zum Abschluss

Wer sich in Japan auf die Spuren der Shinobi begibt, sollte nach Tokio reisen und im Ninja-Restaurant „Ninja Akasaka“ vorbeischauen.

Die geballte Ninja-Erfahrung gibt’s im Ninja-Dorf in Iga Ueno auf halbem Weg zwischen Tokio und Osaka. Zum ultimativen Fan-Erlebnis wird die Reise, wenn man am 5. Mai, dem Tag des Japanischen Knabenfestes „Tango no Sekku“ in die Wälder der einstigen Spionage-Klane aufbricht. Kinder, Eltern und sogar Hunde können sich für kleines Geld Ninja-Kostüme in knallbunten Bonbonfarben mieten, die Dächer sind mit Ninja-Schaufensterpuppen geschmückt – selbst der Parkwächter begrüßt die Angereisten verkleidet und in starrer Kuji-kiri-Pose. Im Schloßpark der Burg Ueno befindet sich, nicht ganz so versteckt wie man es erwarten würde, das Karakuri Yakushi: ein Ninja-Haus voller Trickfallen und Geheimtüren. Die Führung ist witzig und liebevoll vorgetragen. Auf Strohmatten sitzend führt der alte Ninja-Meister vor, wie sich die einstigen Bewohner gegen einen plötzlichen Angriff verteidigten.

Kinder dürfen hinter den Drehwänden verschwinden, durch die doppelten Wände jagen und irgendwo sonst zum Vorschein kommen. Vor dem Haus können sie dann ihre Shuriken-Wurfkünste unter Beweis stellen. Im Kellermuseum gibt es echte Ninja-Waffen und Ausrüstung zu bestaunen. Wem das alles noch nicht reicht, der besucht einfach die Freilichtbühne hinter dem Haus, wo ein betagter, lispelnder Ninja mit seiner Akrobatentruppe authentische Ninjutsu-Schaukämpfe aufführt.