Seit die Industrialisierungswelle der Meiji-Restauration (1868) über Japan hinwegfegte, sind wirklich naturbelassene Fleckchen zu einer absoluten Rarität geworden. Schlecht für die üppige Fauna des Insellandes, deren Lebensraum dadurch immer weiter zusammenschrumpft. Mittlerweile haben sich einige Spezies  an die Veränderungen gewöhnt und damit begonnen, verlorenen Boden zurückzuerobern.

Krähen-Invasion in Japans Großstädten

Die bekanntesten tierischen Reconquistadoren Japans sind die Großstadtkrähen. Überquellende Abfalleimer und Berge von Hausmülltüten haben sie aus dem Dschungel in die Millionenmetropolen gelockt. Dort hausen sie seitdem in den Parkanlagen und machen keinerlei Anstalten, diese je wieder zu verlassen. Rabenvögel haben ohnehin den Ruf, besonders gelehrige Tiere zu sein. Doch die japanische Spezies setzt in puncto Intelligenz und Anpassungsfähigkeit eigene Maßstäbe.

Das liegt wohl vor allem am gestiegenen Höchstalter der Vögel. Das milde Stadtklima, ganzjähriger Nahrungsüberschuss und fehlende Feinde haben dafür gesorgt, dass die Krähen immer älter werden. Da sie in Klanen leben, geben sie ihre Lebenserfahrung an die jüngeren Generationen weiter. So hat sich unter den Vögeln beispielsweise rumgesprochen, dass Autos an  Ampeln halten müssen. Deshalb platzieren sie während der Rotphase gezielt Nüsse auf dem Zebrastreifen und warten bis Autos über die harte Schale hinwegsausen. Im Schutze der grünen Fußgängerampel picken die Vögel dann seelenruhig das erwünschte Innere auf.

Frühjahrsflegelmonate

So weit, so toll: Allerdings entwickelten sich die schlauen Vögel den letzten Jahrzehnten zu einem Problem für die Großstadtbewohner. In den Frühjahrsmonaten, der Brutzeit der Vögel, häuften sich Angriffe auf Katzen und Hunde, an deren Futterschalen sich auch die Krähen gerne bedienen. Ebenso gibt es Angriffe auf Parkbesucher, vornehmlich Kleinkinder mit Süßigkeiten. Aus den Freiluftgehegen des Tokioter Zoos sollen sogar Erdmännchen verschleppt worden sein.

Autobesitzer klagen außerdem über Lackschäden durch Nussbewurf und gestohlene Scheibenwischergummis, die die Schwarzgefiederten für den Bau ihrer Nester verwenden. Noch beliebter ist hierfür das  Isolationsmaterial der Internetleitungen, die wegen der häufigen Erdbeben in Japan alle oberirdisch verlegt werden. Im Jahr 2006 kam es  in über 7.000 Fällen zum Zusammenbruch der Internet-Anschlüsse in Haushalten und Büroräumen, weil Raben die Leitungen zerstört hatten.

Schlaue Krähen mit Cold War-Tricks

In Kagoshima versuchte deshalb das Team der Kyushu Electric’s Facilities Safety Group die Vogelnester zu entfernen, um den Nachwuchs und damit das Problem einzudämmen. Doch die Krähen begannen einfach mehrere Nester parallel zu bewohnen – ein auffälliges, dass die Beamten entfernen konnten, und einen gut versteckten zweiten Horst zur Aufzucht der Jungen. Den selben Trick hat der wirklich relevante russische Geheimdienst GRU angewandt, um jahrzehntelang im Hintergrund des KGB die Fäden zu ziehen.

In Tokyo gründete der langjährige Gouverneur der Präfektur, Ishihara Shinobu, 2001 das Crow Management Project Team und erklärte den Vögeln den Krieg. Ein Netzwerk aus Fallen wurde gelegt, aber für jeden gefangenen Vogel rückte mindestens einer aus den Wäldern nach. Das Problem dabei ist, dass die Population der Tiere solange ansteigt, bis  nicht mehr genug zu fressen für alle da ist.  Deshalb wurde die Bevölkerung aufgerufen, die Fütterung der Vögel einzustellen und ihren Müll in gelben Tüten (Krähen können die Farbe gelb nicht sehen) unter speziellen Netzen zu fixieren. Trotzdem durchstießen die Vögel mit ihren Schnäbeln stichprobenartig die Tüten und zogen die Essensreste durch die  Maschen heraus. Bislang scheint gegen die Vögel kein Kraut gewachsen zu sein. Zum Glück aber haben die japanischen Behörden erkannt, dass die Menschen Verursacher des Problems sind und tüfteln an alternativen Methoden der Abfallsentsorgung statt die Tiere mit Giftködern zu bekämpfen.

Aber nicht nur Krähen lockt das Müllbuffet in menschliche Siedlungen: Immer wieder brechen Wildschweine, Tanukis, Füchse, Makakenaffen oder Schwarzbären in Häuser ein, fressen sich den Bauch voll und legen im kühlen Hausflur ein Nickerchen ein. Was in Nachrichtenmagazinen recht drollig wirkt, endet für die gefährlichen Waldbewohner jedoch oft tragisch. In Japan kahm es in den vergangenen zehn Jahren zu über 1.600 Einsätzen, bei denen Kragenbären gefangen und in die Berge zurückgebracht werden mussten. In vielen Fällen wurden die Tiere aus Sicherheitsgründen erschossen.

Nara: Mit Shika-Hirschen im Späti

Es gibt aber auch eine Menge solcher Mensch-Tier-Geschichten, die mit einem handfesten Win-Win-Pakt enden. Wie zum Beispiel in Nara, der einstigen Hauptstadt des Landes. Dort sind etwa 1.200 Shika-Hirsche auf den Straßen rund um die Parkanlagen des Kasuga-Schrein unterwegs. Seitdem die Tiere hier auftauchten, besucheten immer mehr Touristen die Kleinstadt. Die meisten kommen vor allem, um die zutraulichen Hirsche zu füttern, zu streicheln und mit ihnen auf Erinnerungsfotos zu posieren.

Längst sind sie dadurch zum Wahrzeichen der Stadt aufgestiegen und finden sich nicht nur auf Straßenschildern, Stadtplänen oder Werbeplakaten, sondern auch für jeden „greifbar“ auf Grünflächen, den Straßen und manchmal sogar in den Kiosken. Seit man dort für 150 Yen eine Tüte Senbei (Hirschkekse) kaufen kann, stürmen immer wieder ganze Rotten in die Spätis. Die Angst vor den Menschen ist vollkommen wegkonditioniert. Tüten tragen, Geldzählen, Zeitung lesen oder den Stadtplan checken ist im Bereich der begrünten Touristen-Anzugspunkte inzwischen unmöglich geworden. Sobald es raschelt stürmen die Shika vor. Der skurrilen Situation sollte man mit Humor begegnen und sich einfach die paar Benimmregel für den Umgang mit den hungrigen Tiere zu Herzen nehmen. Letztlich fordern die Shika auch nur den menschlichen Teil der Abmachung ein: Futter für Fotos.

Tashirojima: Seit über 400 Jahren ein Katzenparadies

Ein bisschen weniger stressig ist da wohl der Besuch der Katzeninsel Tashirojima. Die liegt etwa 15 Kilometer vor dem Hafenstädchen Ishinomaki in der Präfektur Miyagi und hat nicht mehr als 100 Einwohner. Jüngstes Gemeindemitglied ist ein Mann in den frühen Vierzigern, die meisten sind schon weit über 60 Jahre alt. Keine Nachwuchsprobleme hingegen haben die Katzenhorden, die die Insel zum Publikumsmagneten für Touristengruppen gemacht haben.

Fast täglich setzen vor allem Familien mit der Fähre „Mermaid“ über, um dann durch ein Meer von Mietzen zu waten. Die Japaner sind der Auffassung, dass Streuner füttern Glück, Wohlstand und Gesundheit bringt. Daher sind die Katzen Tashirojima gut genährt – so gut, dass sie es nicht nötig haben zu betteln oder sich zu bekämpfen. Nur wenn die Fischer in den Hafen zurückkehren, wartet die ganze Bande ungeduldig auf der Kaimauer.

Schon seit der Edo-Zeit (1603-1868) machen Katzen den Großteil der Inselbevölkerung aus. Damals wurden auf Tashirojima Seidenraupen für die Kimonoherstellung gezüchtet. Die Tiere hatten die Aufgabe, Engerlinge vor räuberischen Ratten zu beschützen. Als später der Standort aufgegeben wurde, blieben sie allein mit einer handvoll Fischer auf der Insel zurück. Der Legende nach soll einmal ein Fischer aus Ungeschicklichkeit eine Katze getötet haben. Aus Mitleid errichtete er auf der Insel einen Gedenkschrein, der sich inzwischen zur Pilgerstätte für Katzenleibhaber entwickelt hat.

Neben dem Schrein gibt es auf Tashirojima sage und schreibe 51 Steinmonumente in Katzenform zu entdecken. Wer sich nicht von den rührigen Dachhasen trennen kann, übernachtet einfach in einem der Hotels, die der Manga-Künstler Tetsuya Chiba in den 80ern entworfen wurden. Für Hunde ist das Betreten der Insel übrigens strengstens verboten.

Kuschel-Tsunami auf Ōkunoshima

Ein ähnliches Erlebnis, aber mit Löffelohren und einer unglaublich rührenden Entstehungs-geschichte gibt es in Okunoshima. Auf der kleinen Insel in der Seto-Inlandsee, etwa drei Kilometer vom Festland entfernt, leben auf kleinstem Raum etwa 300 Kaninchen. Besonders toll daran: Die Langohren sind die Urenkel entkommenener Versuchstiere, denn die Insel war im 2. Weltkrieg Standort einer streng  geheimen Chemiewaffenfabrik. Seit 1938 wurde Okunoshima militärisches Sperrgebiet, damit in der alten Fischkonservenfabriken Senfgas hergestellt werden konnte. Weil von Ratten eine erhöhte Seuchengefahr ausgeht, wurden Hasen als Versuchsobjekte benutzt.

Kurz vor der Kapitulation Japans zogen sich die Militärs Hals über Kopf zurück und sprengten die Produktionsanlagen. Den Betreuern der Versuchtiere trugen sie auf, alle übrig gebliebenen Hasen umzubringen, was diese aber zum Glück nicht taten. Seitdem sind die Langohren die heimlichen Herrscher der Insel. Für einen Besuch im Giftgasmuseum wird wohl kaum jemand extra nach Okunoshima kommen. Dafür aber, um mit hunderten von Hasen um die Wette zu rennen.

Jigokudani: Mit Schneeaffen im göttlichen Badezuber

Jigokudani, das Höllental in den Bergen Naganos, ist ein beliebtes Reiseziel für Kur-Urlauber, die sich in den heissen Quellen (Onzen) unter freiem Himmel entspannen wollen. Solche sind der Legende nach ein Geschenk der Götter an die Bewohner Japans und zur Entspannung oder Krankheitslinderung gedacht. Die Bergmakaken des Höllentals haben Kurgästen bei ihren Baderitualen zugeschaut und die Vorteile dieser niemals versiegenden Wärmequelle für sich entdeckt.

In den Wintermonaten, wenn die Nahrung der Affen knapper wird und unter zentimeterhohen Schneemassen begraben liegt, müssen die Tiere ihren Energieverbrauch möglichst niedrig halten. Das erreichen sie durch ausgiebige Badeorgien. Abwechselnd besetzen die verschiedenen Makakenklane jene göttlichen Geschenke. Der Kurort Jigokudani ist dadurch um eine Attraktion reicher geworden. Ins Höllental kommen dadurch heutzutage mehr Badegäste denn je. Für die Affen haben die Betreiber der Bäder inzwischen allerdings eigene Becken angelegt – damit sich die Menschen und ihre nächsten Verwandten im Tierreich nicht zu nahe kommen müssen.

Mehr zum Thema

  • Bei „amusing planet“ gibt’s noch ein paar tolle Bilder von der Katzeninsel Tashirojima.
  • tofugu“ hat hierzu noch einige Reiseberichte, mit Videos auf seiner Seite.

Bildquellen:

Titelbild: Makaken von Jigokudani: Foto by yosemite – commons.wikimedia.org zu finden unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jigokudani_hotspring_in_Nagano_Japan_001.jpg

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Birgit Hoffmann

    Hallo Denki Kawaraban Team,

    mir hat es Spass gemacht diesen Artikel zu lesen. Besonders cool fand ich zu lesen, dass die Krähen, die bei einer Rotphase an einer Ampel schwer zu knackende Nüsse über die Zebrastreifen schleudern, und dann warten bis die Autos über die harte Schale hinwegsausen, um dann im Schutze der grünen Fußgängerampel das leckere Innere auf zu picken. Klasse:-)) Was ich bisher kannte war, dass Krähenvögel von einem erhöhten Ast aus Steine auf die untenliegende Nuss schmeissen um diese zu knacken. Bekannt ist ja das Krähen Werkzeuge anfertigen um an Nahrung zu kommen. Ist schon wirklich interessant, was diese hellen Köpfchen leisten können.

    Macht weiter so… Alles Gute Birgit

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