Nur wenige Länder haben so harte Anti-Drogen-Gesetze wie Japan. Ausländer, die dort mit ein paar Gramm Gras erwischt werden, müssen das Land nach tagelangem Verhör gleich wieder verlassen – oder für sieben Jahre hinter Gitter. Popstars, die mit ihrem Konsum hausieren gehen, dürfen gar nicht erst einreisen, selbst wenn sie die Rolling Stones heißen oder irgendwann einmal eine internationale Hotelkette erben werden.
Die gleiche Strenge erfahren auch die Einheimischen. Ein Japaner, der mit Drogen erwischt wird, gilt als Süchtiger, muss folglich psychische Probleme haben und kommt im besten Fall erst einmal in die Nervenheilanstalt. Wird er erneut verhaftet, ist klar, dass ihm nicht zu helfen ist, und er wandert in den Knast – zusammen mit all den Schwerverbrechern. Eine öffentliche Diskussion um eine Lockerung der Gesetze oder eine Unterscheidung in harte und weiche Drogen gibt es in Japan nicht. Dafür ist die gesellschaftliche Ächtung von Drogenkonsumenten zu hoch. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt warum: Das Land versucht, über seine jahrzehntelange Liebesaffäre mit Wachmachern hinweg zu kommen.
„A couple years ago, both a rugby player and a sumo wrestler were found to be in possession of marijuana, and both athletes had their Japanese sports careers ended. People who get caught with drugs can be fired from their jobs, expelled from school, and have their life flipped, turned upside-down Bel-Aire style. In other words: it sucks to get caught with drugs if you’re a Japanese citizen.“ (Hashi von tofugu.com)
Wir Kinder aus der Wachmacher-Straße
Japan will kein Drogenproblem haben. Gleichzeitig bietet das Land aber den perfekten Markt für Aufputschmittel aller Art. Hier wurde Crystal Meth erfunden und danach jahrzehntelang über die Drogerien vertrieben. Japans totalen Krieg kämpfte und ertrug die hungernde Nation auf Speed. Und auch den Hau-Ruck-Aufstieg zur Wirtschaftsmacht ermöglichte ein hochmotiviertes Heer aufgeputschter blauer Ameisen. Schwäche und Müdigkeit gibt in Japan niemand gerne zu. Für den Tod durch Überarbeitung aus falschem Pflichtgefühl gibt es sogar einen eigenen Begriff: Karoshi.
Entspannung versprechende Drogen wie Heroin oder LSD spielen auf den Inseln keine besondere Rolle. Nur Marihuana ist vor allem bei jungen Leuten, die eine Zeit im Ausland verbracht haben, im kommen. Den Markt beherrschen seit jeher die Wachmacher: Speed, Ice und Methamphetamine – auf japanisch Shabu oder Kakuseizai.
Jeder, der in Japan nachts oder in Doppelschichten arbeitet gehört zur Zielgruppe der Dealer: Büroangestellte, Lieferanten, Taxifahrer, Bauarbeiter. Seit den Neunzigern gibt es auch immer mehr jugendliche Meth-User, vor allem paukende Studenten und dem Magerwahn verfallene Schülerinnen – denn mit Methamphetamin kann man sich nicht nur besser konzentrieren, es unterdrückt auch das Hungergefühl.
Methhead-Nation Dank Philopon
Japan wird häufig als Meth-Nation bezeichnet. Das United Nations Office on Drugs and Crime geht in seinem Report von 2012 jedoch davon aus, das lediglich 0,2 Prozent der 15 bis 64 jährigen Japaner Amphetamine konsumieren. Das ist verglichen mit anderen hochentwickelten Staaten wenig. In den USA und Australien beispielsweise nehmen jeweils knapp zwei Prozent der Erwachsenen solche Drogen ein. Vor 60 Jahren allerdings erreichte die Verbreitung von Methamphetaminen in Japan geradezu epidemische Ausmaße.
Japans Liebesaffäre mit den Wachmachern begann im Jahr 1919, nachdem der Chemiker Akira Ogata ein Verfahren entwickelte, um den Wirkstoff Methamphetamin zu kristallisieren. Das Rezept ließ er sich patentieren und der Stoff fand seinen Weg in die Drogerien. Philopon/Hiropon hieß das neue Zaubermittel gegen Parkinson, Alkoholismus und Narkolepsie. Wegen dessen aufputschender Wirkung war der Missbrauch vorprogrammiert.
Tüte Panzerbonbons für Kriegstreiber-Nationen
Meth verleiht ein Gefühl der Unbesiegbarkeit, unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Schmerz. Kein Wunder, dass der Stoff im 2. Weltkrieg zum absoluten Verkaufsschlager wurde. Die kriegstreibenden Eliten ließen Massen an Philopon herstellen und verteilten es an Waffenfabrikarbeiterinnen, ausgehungerte Stadtmenschen oder Kamikazepiloten. Eine ganze Nation wurde auf Amphetaminen durch einen aussichtslosen Krieg gepeitscht. Wie auch in Deutschland: Hier wurde Meth unter dem Namen Pervitin vertrieben – in Pralinen für Hausfrauen oder als Stuka-Tabletten für die Frontsoldaten. Und – wen wunderts – auch Hitler soll sich regelmäßig ein Näschen Größenwahn gegönnt haben.
Kraftfutter für den Wiederaufbau
Nach dem 2. Weltkrieg waren Japans Großstädte, Infrastruktur und Industrie fast vollständig zerstört. Es gab kaum Lebensmittel, dafür aber Tausende von Menschen, die durch den jahrelangen Speedkonsum abhängig geworden waren. Zum Glück hatte der Megakonzern Dainippon Sumitomo Pharma in Kriegszeiten mehr als eine Tonne Philopon hergestellt. Das wurde jetzt wieder großzügig an die Hungernden verteilt – als Kraftfutter für den Wiederaufbau.
Gegen Cannabis jedoch gingen die US-Besatzer mit aller Härte vor. Hanf wuchs zu dieser Zeit überall am Wegesrand und wurde zur Herstellung ritueller Gegenstände bei Shintozeremonien, von Kleidung oder für medizinische Zwecke verwendet. Damit war es nun vorbei. Anfangs beschriebene drakonische Bestrafung bei Drogenvergehen basiert auf jenem Cannabis-Verbotspaket von 1948. Offiziell sorgte sich die Oberste Heeresleitung um die in Japan stationierten Soldaten, die durch das allgegenwärtige Rauschkraut in Versuchung geraten könnten.
Hanfaktivisten deuten das Verbot jedoch als Lobbyarbeit, als weiteren Schritt in der systematischen Verteuflung der Nutzpflanze zum Schutz der US-amerikanischen Papier- und Synthetikfaser-Textilindustrie.
Die Yakuza übernehmen den Markt
Ende der Vierziger dämmerte den Regierenden, dass ihr Wiederaufbau auf Speed schlimme Nebenwirkungen hatte: Die Organe werden durch das Gift zersetzt. Weil dem Körper außerdem Kalzium entzogen wird, werden die Knochen brüchig und die Zähne faulen aus. Viel schlimmer jedoch waren die aggressiven Ausbrüche der Methheads. Der dauerhafte Konsum der Droge löst nämlich paranoide Wahnvorstellungen bis hin zu Schizophrenie aus.
Hals über Kopf wurde deshalb bis 1955 eine Reihe Aufklärungskampagnen gestartet, um die Meth-Epidemie in den Griff zu bekommen. Aber der Markt für Wachmacher war da, und Japans Wirtschaft setzte gerade zum großen Tigersprung an. Das brachte die japanischen Verbrechersyndikate, die Yakuza, ins Spiel.
Philopon war zwar verboten, aber es kam unter dem Slangwort Shabu zurück. Als die ersten illegalen Meth-Labore geschlossen wurden, verlagerte die Yakuza die Produktion aufs Festland und schmuggelte die Drogen anschließend wieder zurück ins Land. Bis heute ist Shabu die am weitesten verbreitete Droge in Japan. Andere Substanzen hielt die Yakuza, die sich selbst gerne als Anwalt der Bürger in illegalen Fragen darstellt, vom Markt fern.
Letztlich spielt die krasse Kriminalisierung und Pauschalisierung von Drogen in Japan den Verbrechern Unsummen in die Tasche. Drogen sind dort so teuer wie kaum anderswo. Die „japanische Mafia“ bezieht heute etwa 43 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Aufputschmittelhandel und verdient daran jährlich geschätzte 3,38 Milliarden US-Dollar. Und auch der Todeskult AUM-Shinrikyo, der für den Saringasangriff auf die Tokioter U-bahn verantwortlich gemacht wird, finanzierte seinen Krieg gegen die japanische Gesellschaft unter anderem über Drogenlabore in Übersee. Für diejenigen, die sich ohnehin nicht scheuen, das Gesetz zu übertreten, hat sich eine lukrative Einnahmequelle aufgetan.
Drugs are for Losers…
Japans Anti-Drogenpolitik ist so drakonisch, weil sich das Land vor Jahrzehnten selbst auf Entzug gesetzt hat. Bei der Bewertung des Strafmaßes darf man aber auch nicht übersehen, das Japan im allgemeinen ein sehr verregeltes Land ist. Und dort wird nicht zimperlich mit denen umgegangen wird, die sich nicht an die gesellschaftlichen Eckpunkte des Zusammenlebens halten. Zum Beispiel ist in Großstädten in vielen Straßen das Rauchen ganz verboten. Und wer noch ein Feierabendbierchen zischen will, nimmt danach lieber die Bahn, denn in Japan gilt die Null-Promillegrenze.
Trotz der harten Strafen steigt auch in Japan der Drogenkonsum. Vor allem immer mehr junge Leute nehmen regelmäßig Meth und Partydrogen wie Ecstasy. Auch der illegale Anbau von Cannabis in kleinen Hausplantagen boomt, ebenso wie Spice-ähnliche Grasersatzdrogen, von denen schneller neue Sorten auf den Markt kommen als die Regierung ihre Verbotsliste updaten kann.
Don’t do Drugs in Japan!
Für eine Legalisierung von Marihuana, beispielsweise zu medizinischen Zwecken, fehlt in Japan noch die Lobby, was die dortige kleine Hanf-Community natürlich sehr bedauert. Japan kennt keine Unterscheidung in harte und weiche Drogen. Zudem haben die Jahrzehnten laufenden Kampagnen der Regierung und der Umgang der Presse mit dem Thema bei einem Großteil der Bürger das vorherrschende Bild geprägt, wonach Drogenkonsumenten simpel ausgedrückt als schlechte Menschen angesehen werden.
Also gut überlegen, wem ihr in Japan vom lustigen Pot-Rauchen mit Schulkumpels erzählt. Und wer nicht auf Lebenszeit Einreiseverbot erteilt bekommen will, sollte bei seinem Japan-Tripp sicherheitshalber auf den verbotenen Rausch verzichten.