Yo-Ho-Ho, und ’ne Buddel voll Sake: Wenn es eine Art von historischen Schurken gibt, die wirklich jeder super findet, dann sind es Piraten. Und wie jedes Land mit Zugang zum Meer hat auch Japan seine eigene Seeräubergeschichte.
Klar zum Kentern
Die Japaner sind alles andere als eine große Seefahrernation. Gefischt wird dort zwar schon seit der Steinzeit (Jomon-Zeit, etwa 9.000 bis 600 vor unserer Zeitrechnung). Allerdings konnten sich die Menschen lange Zeit lediglich mit ihren kaum seetüchtigen Nussschalen von Insel zu Insel und in Festlandnähe fortbewegen. Von den chinesischen Nachbarn hätten die Japaner einiges lernen können, aber meist waren die Herrscher der beiden Länder so verstritten, dass der Überseehandel und selbst der Wissenaustausch verboten waren.
Es gibt deshalb auch zwei unterschiedliche Piratentypen in Japan: Die Kaisoku blockierten die Handelswege der Inlandsee, überfielen japanische Dörfer und verlangten Lösegelder für entführte Reisende. Die Wakō wiederum verbündeten sich mit Piraten aus China oder Korea, plünderten jahrhundertelang das gelbe Meer und das ostasiatische Festland. Sie waren so etwas wie die japanischen Wikinger, mal Händler mal Seeräuber.
Wakō: Japans grausame Teilzeitpiraten
Die ersten Wakō waren herrenlose Samurai, verarmte Fischer oder Bauern aus Nordkyūshū, genauer von den Gōtō-Inseln oder den festlandnahen Eilanden Tsushima und Iki. In der abgeschiedenen Region war die Selbstversorgung schon immer besonders schwierig, also verschafften sich die Bewohner ein zweites Standbein.
Der Begriff Wakō (Japanisch), Waegu (Koreanisch) oder Wokou (Chinesisch) steht für plündernde Banden aus dem Lande Wa – wobei „Wa“ eine veraltete Bezeichnung für Japan ist. Deren Überfälle sind neben den Genoziden japanischer Invasoren im 20. Jahrhundert bis heute der wohl wundeste Punkt in der Geschichte der Nachbarländer. Nicht zuletzt, weil die damalige Regierung in Kyoto kaum etwas tat, um die Piratennester in ihrem Hoheitsgebiet auszuräuchern. Wozu auch? Piraten versorgten Hof- und Landadel mit Luxusgütern aus China, auch in Phasen, in denen der Handel offiziell wegen diplomatischer Streitereien ausgesetzt wurde.
Ohne damit die Gräueltaten japanischer Seeräuber kleinreden zu wollen: Die Zusammensetzung einer Wakō-Crew bis hin zum Kapitän war fast immer multinational. In Hauptphase der Plünderungen im 14. und 15. Jahrhundert bestand so eine Piratenbande zu 90 Prozent aus chinesischen und koreanischen Gesetzlosen. Später heuerten sogar portugiesische Seeleute auf den Wakō-Schiffen an. Ihre Verstecke blieben aber auf japanischem Boden, weil die Festlandmarine dort nicht ohne Einwilligung der japanischen Regierung auf Piratenjagd gehen konnte.
Die Matsuura-Bande & der Zorn des Kahn
Im 13. Jahrhundert erwiesen sich die Wakō für die Regierung in Kyoto in einer weiteren Hinsicht als Ass im Ärmel. Denn niemand geringer als Kubilai Kahn richtete nach dem Sieg über die koreanische Goryeo-Dynastie seinen Blick nach Japan. Für ein Land, in dem angeblich Paläste aus Gold auf die mongolischen Plünderer warteten, waren seine Reiterhorden sogar bereit, das Meer zu überqueren. Vor Hakata in Nordkyūshū tauchte dann im Jahr 1272 eine Mongolenarmada auf. Die an Land wartenden Samurai hatten den unkonventionellen Kampftechniken der Reiterhorde nichts entgegenzusetzen. Damals kämpften japanische Schwertadelige auf dem Feld noch ohne viel Fußvolk und Mann gegen Mann.
Vor einem Zweikampf, riefen sie dem Gegner Namen und ihre Schlachtengeschichte zu. Bis dahin hatten die Steppenkrieger bereits die ersten Salven Giftpfeile auf die verdutzten Samurai niederegnen lassen. Hätte ein Taifunsturm nicht über Nacht den Großteil der vor Anker liegenden mongolischen Flotte versenkt, wäre es damals wohl um Japan geschehen. Kubilais Truppen zogen sich zurück, allerdings nur für sieben Jahre. Bis dahin hatten die Samurai sich der Kampftechnik der Angreifer angepasst. Von eigens errichteten Wällen aus wurden die Mongolen nun mit Pfeilen eingedeckt.
Für den Seekampf hatten die Samurai sich ein paar Tipps von den Wakō, allen voran von der berüchtigten Matsuura-Bande aus Nagasaki, geholt. Mit kleinen Piraten-Flößen enterten sie die mongolischen Schiffe, legten Feuer, meuchelten die Mannschaft oder verwickelten die kavallerieerprobten Feinde an Bord in Nahkämpfe. Und wieder gab ein Sturm Kubilais Truppen den Rest, so dass diese sich erneut zurückzogen und ihre Eroberungspläne endgültig aufgaben. Die Japaner vermuteten übrigens, dass hierbei die Götter ihre Finger im Spiel hatten und bezeichneten die Stürme als göttliche Winde (Kamikaze). Die kamen ihnen im 2. Weltkrieg jedoch nicht zu Hilfe.
Die Nachbarn gehen auf Piratenjagd
In den kommenden Jahrhunderten gingen die Überfälle auf das Festland weiter. Die Reichsanalen der koreanischen Goryeo-Dynastie berichten von 3.000, teilweise berittenen Wakō, die mit mehreren hundert Schiffen in den Küstengebieten landeten. Als die Reis-Transportrouten des Königreiches deshalb extra auf den Landweg verlagert wurden, drangen die Piraten bis tief ins Landesinnere vor. 1392 übernahm General Yi Seonggye die Macht auf der koreanischen Halbinsel und erklärte den Wakō den Krieg. Er rüstete seine Marine mit den neusten Waffen aus und konfrontierte die japanischen Seeräuber erstmalig mit Brand- und Explosionsgeschossen. Flüchtende Wakō verfolgte er bis zu ihren Inselverstecken und richtete sie hin, egal was die japanische Regierung davon hielt. Als sich die Überfälle dann auf die Küstengebiete Chinas verlagerten, errichteten die Ming-Kaiser entlang der Küste ein dichtes Netz von Verteidigungsposten, eine Art chinesische Mauer, die zur See hin ausgerichtet war.
Allen voran schlug der chinesische Militärführer Qi Jiguang (1528-1588) die Plünderbanden zurück. Von der Shandong-Halbinsel aus sicherte er allmählich die Küstenlinien Richtung Süden, indem er Seeräuber auf dem Land in Hinterhalte lockte. Den Todesstoss versetzte den Wakō dann allerdings doch ein japanischer Herrscher, auch wenn das nicht aus diplomatischen Gründen geschah. Toyotomi Hideyoshi (1536-1598) wollte Japans hundertjährigen Bürgerkrieg beenden und schaltete dazu systematisch alle Unruhefaktoren im Land aus. Haudegen und Gefolgsmänner seiner besiegten Feinde schickte er ins Ausland auf Feldzüge, bei denen diese wie erwartet aufgerieben wurden. Darunter waren auch die Piraten aus Nordkyūshū. Die internationalen Wakō-Mannschaften verlagerten ihre Geschäfte und Verstecke daraufhin nach Südostasien.
Kaizoku: Piraten-Könige und Salzwasser-Samurai
Anders als die Wakō verkörpern die Kaizoku den lustig-verwegen Abenteuer-Piratentypen, wie man ihn aus Lucas Arts-Games kennt. Ist im Prinzip Quatsch, denn Seeräuber waren niemals zimperlich, wenn es darum geht, die Schatzkisten zu füllen. Und auch die Bewohner der Seto-Inlandsee, dem Wirkungsgebiet der Kaizoku, hatten unter den hakenhändigen Raubeinen nichts zu lachen. Einige Kaizoku-Klane hielten sich über Jahrhunderte und stiegen mit der Zeit zu Lokalfürsten auf. Weil ihr Wohlstand auf Schutzgeld, Handel und Wegelagerei, statt auf Ländereien basierte, bezeichneten die anderen Adelsfamilien sie verächtlich als Kaizoku, Sippen der Meere.
Fujiwara Sumitomo: Der Jäger führt die Gejagten
Eine tolle japanische Kaizokugeschichte ist die des Fujiwara no Sumitomo. Seit Beginn der Heian-Zeit (791 bis 1185) residierten Kaiser und Hofadel in der Hauptstadt Kyōto und kümmerten sich ausschließlich um die Veredelung seiner Schöngeistigkeit. Die Verteidigung und Ausweitung der Nordostgrenzen übernahm der Landadel, die Finanzierung stemmten die Bauern in den Provinzen.
Im Jahr 934 wurde Sumitomo, Spross einer der damals mächtigsten Familien am Kaiserhof, in seine Heimatprovinz Iyo ausgesandt, um Piratenüberfälle auf Küstendörfer zu beenden. Zwei Jahre blieb er verschollen, dann tauchte er als Kommandant einer eigenen Flotte auf. In der kurzen Zeitspanne hatten sich ihm über 30 Kapitäne unterworfen. Mit etwa 1.000 Schiffen zog er von Provinz zu Provinz und plünderte die Vorratsspeicher seiner hofadeligen Bekannten.
Als die Kunde von seiner geplanten Plünderung der Hauptstadt den Hof erreichte, versuchte der Kaiser sich freizukaufen. Was auch gelang. Der Piratenkönig der Fujiwara ließ sich mit einem versprochenen Hofrang und den dazugehörigen Ländereien von seinem Vorhaben abbringen. Dadurch konnten sich die kaiserlichen Armeen darauf konzentrieren, Bauernaufstände, die gleichzeitig begonnen hatten, in den Provinzen niederzuschlagen. Im Anschluss wurde dann aber Jagd auf den Piratenkönig gemacht. Ende der 940er Jahre wurde Sumitomos Piratenarmada in der Bucht von Hakata vernichtend geschlagen. Seinen Kopf brachten die Soldaten nach Kyōto, wo er zur Warnung ausgestellt wurde.
Die Taira: Blitzkarriere der Salzwasser-Samurai
Geschickter als Sumitomo machte es da die Taira-Familie. Die erhielt für das Aufspüren und Hinrichten von Kaizoku im 12. Jahrhundert vom Kaiser die Kontrolle über die gesamte japanische Binnensee. Durch eine Kombination aus illegalen Schmuggel- und legalen Eskortgeschäften wurden sie binnen einer Generation so mächtig, dass Taira no Kiyomori 1153 das Land als Kanzler stellvertretend für den Kaisererben regierte. Ironischerweise wurden die Sippe schon im Jahr 1185 bei einer Seeschlacht ausgelöscht. Nicht zuletzt, weil die gegnerischen Minamoto sich eine Familie zu Hilfe holten, die Jahre später als die Fürsten der Kaizoku in die Geschichte eingingen: Die Murakami.
Die Murakami: Karperfahrer der Daimyō
In der Sengoku-Zeit (1477 bis 1573) zerfiel Japan in unzählige rivalisierende Provinzen. Bis zu 300 Fürsten (Daimyo) kämpften nach dem Zusammenbruch der Zentralmacht um die Vorherrschaft auf dem Archipel. In der Seto-Inlandsee sicherte sich zu dieser Zeit die Murakami-Familie die Herrschaft über die Küstengebiete.
Die Murakami mussten sich auch nicht wie sie Wakō oder andere Kaizoku in Klippen, unbewohnten Eilanden, Strandhöhlen oder Fischerdörfern verstecken. Ihre Oberhäupter operierten von den Inseln Innoshima, Noshima und Kurushima aus. Der Piratenfürst der Insel Noshima beispielswqeise wohnte in einer befestigten Umijiro (Meeresburg) und seine Schiffe standen in eigenen Hafenanlagen jederzeit zum Auslaufen bereit.
Das nautisches Wissen hatte die Sippe sich in jahrelanger Praxis und durch Austausch mit Händlern aus ganz Ost- und Südostasien angeeignet. Dadurch verfügten sie auch schon früh über die neueste Waffentechnik aus China und Europa. Für die Daimyō auf dem Land avancierten sie damit spätestens im Bürgerkrieg zu wichtigen strategischen Verbündeten, da sie Nachschub und Einnahmen ihrer Verbündeten über den Seeweg ermöglichten. Auf der anderen Seite errichteten sie Seeblockaden im Auftrag ihrer Partner.
Der berühmteste Kaizoku der Sippe war Murakami Takeyoshi (1533-1604). Im Auftrag des Daimyō der Mori-Familie besiegte seine Seestreitmacht in der Schlacht von Kizugawaguchi im Jahr 1576 den skrupellosen Feldherrn Oda Nobunaga. Kein Wunder: Takeyoshi sagte man nach, wie ein Achtarmiger zu kämpfen – weil er vor dem Auslaufen immer ein spezielles Tintenfischgericht zu sich nahm.
Auch die Kurushima-Murakami kämpften im Dienste der Festland-Daimyō. Von den Feldzügen des Reichseinigers Toyotomi Hideyoshi kehrten sie allerdings, wie viele andere Kaizoku und Wakō, nie wieder zurück. Als die Tokugawa-Herrscher im Jahr 1639 dann das Handels-, Aus- und Einreiseverbot verordneten und Zuwiderhandlung unter Todesstrafe stellten, endete auch die große Zeit der Murakami-Meeressippen.
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