Abgeschottet vom Rest der Welt entstand im 17. Jahrhundert eine erste rein bürgerliche Kunstform. Die Erotik-, Gewalt- oder Heldendrucke wurden Japans erstes Massenmedium.
Ukiyoe sind japanische Holzschnittdrucke aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert, von denen in jener Zeit Hunderttausende produziert wurden. Ein paar Motive dürften viele schon einmal irgendwo gesehen haben, zum Beispiel die berühmte Welle von Ukiyoe-Meister Hokusai oder dessen erotisch-pornographisches Bild einer Perlentaucherin, die sich am Strand einer Bande Kraken hingibt.
Japans erstes Massenmedium
Die ersten Ukiyoe wurden mit Tusche und Pinsel auf Bildrollen gemalt. Die Naturmotive sollten die Vergänglicheit aller irdischen Schönheit verdeutlichen, deshalb auch die eigentliche Bedeutung von ukiyoe: Bilder der fließenden vergänglichen Welt.
Ab der Edo-Zeit (1603-1867) rückten Menschen und ihr Alltag in den Fokus der Kunst. Damals war die Ein- und Ausreise in und aus Japan raus unter Todesstrafe verboten, die Samurai verarmten, weil kein Krieg mehr geführt wurde, und alles drehte sich um das aufkommende städtische Bürgertum in den ersten Megametropolen Osaka und Edo (heute: Tokio). Dort entstand ein Markt für Künstler, die Portraits von Schauspielern und Sumo-Stars, Bilderbücher und Reisemotivkalender verkauften. Wegen der Nachfrage wurden Tuschpinsel durch Druckplatten ersetzt und ukiyoe wurden in Massenauflagen gefertigt.
„Von nun an war mit Ukiyoe die Welt des Vergnügens und der Sinnesfreude gemeint, die Welt der Theater und der Freudenviertel, die Welt der Feste und des ausschweifenden Luxus.“ (Fritz Schwan im „Handbuch Japanischer Holzschnitt)
Hall of Fame der größten Ukiyoe-Künstler
Als Vorreiter der Ukiyoe Kunst gilt Hishikawa Moronobu (1618 bis 1695). Er zeichnete als erster Straßenszenen, die zur Vervielfältigung durch den Holzschnittdruck bestimmt waren. Ihm folgten die so genannten torii-Meister, die anfangs als Plakatmaler Flyer mit Szenen aus Theaterstücken oder Poster der beliebtesten Schauspieler anfertigten. Mitte der 1750er wurde das Mehrfachdruckverfahren perfektioniert. Damit begann die große Epoche der ukiyoe. Künstlerschulen brachten immer wieder neue Talente hervor, von denen einige in einer Hall of Fame vorgestellt werden.
Hokusai: Der vom Malen besessene Alte
Hokusai Katsushika (1760 bis 1849) ist der bekannteste japanische Holzschnittkünstler. „Der vom Malen besessene Alte“ zeichnete mehr als 30.000 Illustrationen und bebilderte über 500 Bücher. Von ihm stammt die „Welle von Kanagawa“ aus seiner Reisebilderserie „36 Ansichten des Fuji„. Mit seinen Skizzenbüchern, den Manga, prägte er den Begriff, der heute für japanische Comics verwendet wird. Nachdem er sich schon aus der Künstlerwelt zurückgezogen hatte, feierte er mit siebzig Jahren ein Comeback – unfreiwilligerweise, da sein Enkel alles Geld der Familie verzockt hatte. Ein Glück, denn aus diesen letzten Jahren stammen viele seiner besten Werke.
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Utamaro: Erotikzeichner aus dem Rotlichtmillieu
Kitagawa Utamaro (1753-1806) war Japans bester Ukiyoe-Zeichner, wenn es um Insektenbilder und Frauenportraits (bijinga) geht. Angeblich wuchs er im Vergnügungsviertel Yoshiwara als Sohn eines Teehausinhabers auf. Als junger Mann wurde er erfolgreichsten shunga (Erotik)-Zeichner. Utamaro wurde wegen seine Licht und Schatteneffekte von der europäische Impressionistenszene gefeiert.
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Sein Lehrmeister Toriyama Sekien (1712- 1788) hat die umfangreichsten Yokai– und Geisterwesenserien der Holzschnittkunst zu Papier gebracht. Leider alles nur schwarz-weiss – aber dafür nicht weniger gut.
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Utagawa Kuniyoshi: Satire mit Tierbildern
Utagawa Kuniyoshi (1797-1862) ist meiner Meinung nach der interessanteste und phantasievollste Ukiyoe-Maler. Lange Zeit war er erfolglos, schaffe es dann aber doch noch, einer der größten stilbildenden Ukiyoe-Künstler zu werden. Den Durchbruch hatte der Katzen-Fan mit den Darstellungen legendärer Helden, Schauspielerportraits und Akten. Auch als die Zensurbestimmungen strenger wurden, ließ er sich den Spass an politischer Satire nicht nehmen – am liebsten ersetzte er die Menschen einfach durch Tiere oder Fabelwesen.
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Hiroshige: Feuerwehrmann und Landschaftsmaler
Utagawa Hiroshige (1797-1858) wird fälschlicherweise immer wieder als Ando Hiroshige bezeichnet. Berühmt wurde der malende Feuerwehrmann in seinen Dreißigern, als er beeinflusst von Hokusai seine erste grosse Serie „53 Stationen des Tokaido“ herausbrachte. Damit wurde ein Genre wiederbelebt, das durch die Ukiyoe-Kunst schon beinahe in Vergessenheit geraten war – die Landschaftsbildern. Die Menschen waren für Hiroshige meist nur komisches Beiwerk. Absolut unerreicht sind seine Darstellungen von Wind- und Wetterphänomenen. Sein Bild von einer regenüberströmten Brücke machte sogar Vincent van Gogh zum Plagiator.
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Yoshitoshi: Gewalt und Schönheit
Tsukioka Yoshitoshi (1839 bis 1892) war einer der letzten großen Ukiyoe-Künstler. In frühen Jahren fiel er wegen seiner extrem grausamen Gewaltdarstellung auf. Serien, wie „28 berühmte Mörder in Versen“ mit expliziten Darstellungen von Mördern und ihren Verbrechen zeigen deutlich, dass Yoshitoshi unter massiven psychischen Störungen litt. Mit der Öffnung der japanischen Grenzen drangen westliche Kunststile nach Japan.Yoshitoshis Zeitgenossen schworen der Ukiyoe-Kunst ab und widmeten sich der Litho- oder der Fotographie. Er jedoch blieb dem Genre treu und schuf mit seinen Bilderreihen „Hundert Ansichten des Mondes“ und „Neue Formen von 36 Geistern“ mit das Schönste, was die ukiyoe-Kunst zu bieten hat.
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Kunisada: Erfolgreicher Alrounder
Utagawa Kunisada (1786-1865) war zu seiner Zeit der populärste und finanziell erfolgreichste Zeichner von ukiyoe. Schon kurz nach der Ausbildung galt er als Hauptattraktion der renommierten Utagawa-Schule. Kunisadas Genre waren Kabuki-Theatherillustrationen und Schauspielerporträts – außerdem hatte er ein Talent für Bilder von Sumo-Ringern. Ein Großteil seiner Werke signierte Kunisada auch als Toyokuni der Zweite oder auch der Dritte.
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Viele Künstler änderten im Laufe ihrer Karriere immer wieder ihre Signaturen. Deshalb lassen sich manche Drucke auch gar keinem Künstler zuordnen. Mit Beendigung ihrer Ausbildung durften Ukiyoe-Zeichner den Namen ihrer Schule tragen – Utagawa Yoshinobu, Hiroshige und Kuniyoshi entstammen deshalb auch nicht alle einer besonders talentierten Familie, sondern kommen nur alle aus der selben Künstlerschmiede.
Auch einen neuen Vornamen wählten die Lehrmeister aus. Manche Künstler signierten ihre Werke in jeder folgenden Schaffensphase mit einem anderen Namen. Ukiyoe-Altmeister Hokusai zeichnete beispielsweise unter über 30 verschiedenen Namen. Für Drucke von politischer Satire oder Pornographie wurden ohnehin meistens Decknamen benutzt.
Zeichnen, schnitzen, drucken, verlegen
Durch die ukiyoe ist die Edo-Zeit so gut dokumentiert wie kein anderer Zeitabschnitt in Japan zuvor. Mehrere hundert Verleger, ebenso viele Künstler, tausende Holzschneider und Drucker fertigten mehrere Millionen Illustrationen zu Natur, Architektur, Kleidung, Habitus und Alltag an.
Dabei ist das Verfahren recht aufwendig, gemessen daran, dass ein solcher Kunstdruck auf dem Markt in etwa soviel einbrachte, wie eine Schale Nudelsuppe. Zuerst entwarf der Holzschnittkünstler auf Vorgabe des Verlegers eine Bild-Idee. Gefielen dem Auftraggeber die Skizzen, zeichnet der Künstler sein Werk im Detail auf durchsichtiges Reispapier. Der Holzschneider pauste das Motiv dann auf eine Kirschholzplatte. Indem er die Freiräume zwischen den dünnen Linien mit einem Meißel entfernte, bis nur noch die dünne Stege übrig blieben, fertigte er die Druckplatte. Für jede weitere Farbe wurde danach eine weitere Stempelform vom gleichen Motiv angefertigt. Erst dann konnte der Drucker mit der Massenproduktion beginnen.
Makurae: Pornohefte in Rekordauflage
Ein Verkaufsschlager der ersten Ukiyoe-Stunde waren Wegweiser durch die Freudenviertel Edos mit Portraits von Kurtisanen. In Japan war Sex nicht so verpönt wie im christlichen Europa. Kurisanen und Zweitfrauen waren ebenso geduldet wie homosexuelle Beziehungen unter Mönchen und Soldaten. Akt-Darstellungen in der Kunst gab es schon weit vor der Edo-Zeit. Durch die Holzschnitttechnik erst wurde Massenfertigung möglich, so dass Makurae (Kopfkissenbilder) und shunga (Akte) schnell zu einem der beliebtesten Ukiyoe-Genres aufstiegen.
Shunga-Frühlingsbilder stellten Sex in all seinen Facetten dar: Mann und Frau, Mann und Mann, alt und jung, Vergewaltigung oder Sex mit Kraken. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Kunsthistoriker sprechen von einer vollkommen übersexten Parallelwelt, einem japanischen Pornotopia.
Das wurde auch der damaligen Regierung zu bunt. Die Bilder wurden offiziell verboten – Besitz und die Herstellung aber nicht unter strenge Strafen gestellt. Erst mit wachsendem westlichen Einfluß wurde Sexualität in der japanischen Kunst konsequent zensiert und ein Großteil der Shunga vernichtet. Seit den 1990ern erst durften sie dann wieder in ihrer ursprünglichen Form abgedruckt werden.
Das Ende der Isolation, das Ende der Ukiyoe
Das Besondere an der Ukiyoe-Kunst ist, dass sie sich ohne Einfluß von außerhalb über knapp 250 Jahre hinweg entwickeln konnte.
Damit war es allerdings ab dem Jahr 1853 vorbei. Auslöser war das Auftauchen der schwarz geteerten Kanonenboote der US-Marine in der Bucht von Edo. Commodore Matthew C. Perry zwang die Tokugawa-Herrscher, erste japanischen Häfen für den Welthandel zu öffnen. Und mit dem Ende der Isolation begann auch das Ende der Ukiyoe-Kunst. Immer mehr Europäer drängten auf die neuen Märkte. Weil Japan nicht wie China enden wollte, wo die imperialistischen Westmächte seit Jahrzehnten immer dreister ihren Einfluß erweiterten, beschloss die Regierung die Modernisierung der japanischen Gesellschaft im Eiltempo.
Technologie, Verfassung, Kriegsführung, Kleidung, Schulsystem und natürlich auch die darstellenden Künste – alles wurde vom Westen abgekupfert. In ihrem Kopierwahn entwickelten die Japaner eine gnadenlose Geringschätzung für die eigenen kulturellen Errungenschaften. Während die europäische Künstlerszene begeistert die Ukiyoe studierte und kopierte, versetzen die Japaner ihrer einzigartigen Kunstform damit den Todesstoß.
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