Androidinnen: Made in Japan
Das seit 2007 aussterbende Inselvolk setzt auf mechanische Diener, um drohende Versorgungsengpässe in der Pflege abzufedern. Dabei weichen eckige Maschinen mit Greifhakenhänden allmählich makellos modellierten jungen Frauen mit Gummihaut und Pagenschnitt.
Japans Geburtenrate befindet sich seit 1974 auf Talfahrt. Japanische Frauen bringen im Schnitt nur noch 1,4 Kinder zur Welt. 2,1 wären aber nötig, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Gleichzeitig sorgt der medizinische Fortschritt dafür, dass die Menschen immer älter werden. Was das bedeutet kann man sehen, wenn man mal aus den Metropolen heraus aufs Land fährt. Japan entwickelt sich zu einem Greisenland. Und da eine Lockerung der Einwanderungsbestimmungen für Tokyo nicht zur Debatte steht, stellt sich die Frage, wer das aufklaffende Fachkräfteloch füllen soll. Die Antwort ist aber nicht „wer“, sondern „was“.
Die Altenpfleggerobbe Paro, der Care-Bear RIBA oder der Hausdiener Wakamaru sind allesamt Roboter und sie haben eines gemeinsam: Sie sehen einfach nett aus. Und das liegt nicht bloß daran, dass Japan seit Jahrzehnten in einem Meer von putzigen Produkten und kulleräugigen Maskottchen versinkt. Die Niedlichkeit (Kawaii) soll Menschen dabei helfen, Maschinen an ihrer Seite zu akzeptieren. Und das funktioniert bei den Japanern erstaunlich gut. Erst wenn die Konstruktionen zu menschenähnlich werden, schlägt hier und da das Interesse in Skepsis um. Denn seltsamerweise stellt sich für einige erst dann die ethische Frage, ob es in Ordnung ist, einen Menschen durch Maschinen zu ersetzen, wenn die Maschine ihren Erbauern wie aus dem Gesicht geschnitten ist.
Hausgemachte Konkurrenz
Geschichten über das Verhältnis von Menschen und Androiden – also Maschinen, die wie ihre Erbauer aussehen und sich auch so benehmen – gibt es in der japanischen Manga-Comic-Literatur unzählige. Und in beinahe all diesen Geschichten geht es letztlich um die Angst der Menschen, die Kontrolle über ihre Schöpfung zu verlieren. Oder schlimmer noch: gar von ihr übertroffen zu werden.
Diese Zukunftsmusik scheint zunehmend real, seit Japans erste Roboterlehrerin Nachhilfestunden gegeben hat und attraktive Fembot-Hostessen Messebesuchern den Weg zur Toilette erklären. Längst geht es Tüftlern und den dahinter stehenden Forschungsinstituten nicht mehr darum, einen Putzroboter oder Schachpartner für Pflegeheimbewohner zu konstruieren. Für sie hat ein Wettlauf begonnen, an dessen Ziel der künstliche Mensch steht, der in Verhalten und Aussehen nicht mehr von seinen Schöpfern zu unterscheiden sein wird.
Roboter lieben lernen bei Professor Android
Die unglaublichsten Wegmarken ins Robo-Zeitalter setzt seit Jahren ein Mann aus Osaka: Professor Ishiguro Hiroshi. Seine Repliee Androiden sehen ihren menschlichen Vorbildern nicht nur zum verwechseln ähnlich. Sie sprechen, blinzeln und unterstützen das gesagte mit scheinbar belanglosen Gesten. Vor ein paar Jahren präsentierte Ishiguro auf einer Messe einen attraktiven weiblichen Androiden, der auf Publikumsfragen reagierte und sogar die richtigen Antworten geben konnte.
Auch von sich selbst hat er längst eine Robo-Replik angefertigt. Die kann zwar nur sitzen, weil die Nachahmung des menschlichen, zweibeinigen Gangs unglaublich schwierig ist. Dafür aber ahmt sie natürliche Körperbewegungen wie Atmung nach und verfügt mit 50 Motoren im Gesichtsbereich über eine ausgeprägte Mimik.
Dem 51-jährigen geht es längst nicht mehr darum, eine mechanische Kopie eines Menschen zu konstruieren. Er konzentriert sich auf den nächsten Schritt: Die Überbrückung der natürlichen Distanz, die Menschen gegenüber Maschinen empfinden. Sein Doppelgänger wurde beispielsweise über ein Motion-Capture System ferngesteuert, um herauszufinden, inwieweit die Interaktion aus der Ferne auch eine persönliche Präsenz übertragen kann, also ob die Studenten irgendwann vergessen, dass sie sich um eine Replik von Professor Ishiguro handelt.
„Zuerst ist man über Androiden irritiert. Aber wenn man erst einmal in eine Konversation gezogen wird, vergisst man jeden Unterschied und fühlt sich ganz in Ordnung, wenn man mit ihm spricht und ihm in die Augen schaut.“
(Robo-Forscher Ishiguro Hiroshi)
Von Stepford Wives und Love Doll-Luden
Das Netz ist natürlich längst voller Leute, die es kaum erwarten können, über diese kleinen Unterschiede hinwegzusehen. Diskutiet wird, ob Sex mit den Roboter-Damen möglich sein wird oder ob die künstliche Intelligenz ausreicht, um eine Androidin zur Frau zu nehmen. Was bei den Stepford Wives von Ira Levin in den Siebzigern noch als Satire gemeint war, rückt in greifbare Nähe. Denn schon jetzt gibt es in Tokyo Bordelle, die lebensgroße Latex-Damen für ein einseitig-aufregendes Tête-à-Tête pfeilbieten.
Der ehemalige Software Ingenieur Itonaga Katsuyoshi war der erste, der vor zehn Jahren Stundenhotels mit untenrum anatomisch korrekten Schaufensterpuppen belieferte. Ein paar Jahre später betrieb er bereits sieben eigene Bordelle, deren Mitarbeiterschaft ausschließlich aus Love Dolls besteht. Der Preis für eine zweistündige Nummer entspricht übrigens dem Standard-Callgirl-Tarif. Trotzdem sind die Liebespuppenbordelle immer gut besucht. Haarfarbe, Aussehen, Figur, Kleidung und die jeweiligen Motto-Zimmer können vorher ausgewählt werden. Ob die Puppen dann für Sex benutzt oder nur mit mitgebrachten Kostümen fotografiert werden, ist den Betreibern egal. Zumindest aber weist ein Schild über der Eingangstür darauf hin, dass „Love-Dolls wie richtige Mädchen sind. Geht sanft mit ihnen um“.
Etwa 6.500 US-Dollar kostet eine solche Puppe für den Hausgebrauch. Wer sich das nicht leisten kann oder neben der Ehe heimlich einer solchen Vorliebe nachgehen möchte, besucht einfach einen der Tokioter Puppen-Puffs, wie der lustige „Stern“ diese Hotels mal betitelte. Der Schritt ein solches Etablissement mit Roboterfrauen auszustatten, ist natürlich nicht mehr groß. Der Betreiber Itonaga träumt schon lange von einem Computerchip für seine Mädels.
„Mein Traum ist es, den Leuten eine Robotergeliebte zu geben, die auch mal etwas Unerwartetes macht.“ (Puppenlude Itonaga Katsuyoshi)
Iiih, Roboter: Invasion auf den Arbeitsmarkt
Androidinnen fürs Bett werden nur was für Männer sein, die heute schon einen von Beate Uhses aufblasbaren Dauerbrennern in der Bastelkiste verstecken. Und auch Lehrer, Modells oder Krankenpfleger brauchen sich keine Sorgen um ihren Job zu machen. Die Service-Roboter sollen einem zur Hand gehen, können hier aber kaum ihre menschlichen Vorbilder ersetzen.
In der Industrie oder Landwirtschaft haben Maschinen Tätigkeiten übernommen, die sie nach identischen Handlungsmustern ausführen. Computer können eben nur Regeln befolgen oder anhand von Datensätzen auswerten, welche Antwort in ähnlichen Fällen am häufigsten gegeben wurde. Also bloß nicht das Zwischen-den-Zeilen-lesen verlernen, dann bleibt die Invasion der Robo-Konkurrenz auf Bürosessel und Ehebetten Science-Fiction.