Zukunft ist nicht mehr das, was sie mal war

Wenn ich mir als Kind das Leben in der Zukunft, damals immer festgelegt auf das Jahr 2000, vorgestellt habe, dann war da alles extrem technisiert. Autos flogen über einen „Skyway“, die Häuser ragten bis in die Wolken herauf und kein Zentimeter Fläche war nicht mit Leuchtreklame oder Werbebildschirmen bedeckt. Vor allem aber waren da Roboter aller Größen und Formen, die die unangenehmen Arbeiten verrichteten, damit die Menschen mehr Zeit für schöne Dinge haben.

Was derartige Träumereien betrifft, so scheinen es zumindest die Japaner zu sein, die solche Zukunftsvisionen in die Tat umsetzen wollen. Nicht zuletzt, weil die ganze Gesellschaft diese Entwicklung unterstützt. Denn kein Volk räumt Robotern so selbstverständlich einen Platz im eigenen Haushalt, im Service- oder im Pflegebereich ein wie die Japaner. Natürliche Berührungsängste werden dabei vor allem mit niedlichem Design überwunden.

Aber warum sind die japanischen Ingenieure wie auch die Regierung so versessen darauf, Kinderzukunftsphantasien von einer robotisierten Zukunft endlich wahr werden zu lassen?

Greisenvolk hat Nachwuchsmangel

Für Japan wird es höchste Zeit, einige Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Dies wird deutlich, wenn man sich die dortige Bevölkerungsentwicklung anschaut.

Seit 2007 sterben die Japaner offiziell aus – was bedeutet, dass sich der Zenitwert von etwa 127 Millionen Einwohnern seitdem stetig weiter verringert. Ebenso entwickelt sich das Verhältnis von Erwerbstätigen und denen, für die gesorgt werden muss, dramatisch. Das zeigen Prognosen vom Kaliber: „2050 werden von drei Personen in Japan zwei über 55 Jahre alt sein“.

Mit ähnlichen Problemen sehen sich auch die meisten westlichen Industrieländer konfrontiert. Sogar die deutsche Regierung will eine echte Willkommenskultur auf die Beine stellen, weil uns der Fachkräftenachwuchs ausgeht. Tokio allerdings macht keinerlei Anstalten, die Geburtenausfälle durch Maßnahmen – wie weniger strenge Einwanderungsbestimmungen – zu kompensieren.

Willkommenskultur lieber für Roboter

Dahingehend wiederholt sich die Geschichte. Als zu Zeiten des japanischen Wirtschaftsbooms chronischer Arbeitskräftemangel auf dem Archipel aufkam, sprachen sich die Entscheidungsträger für den intensiven Einsatz von Industrierobotern aus und gegen die Anwerbung von Gastarbeitern. Die Begründung lautete, man fürchte den Qualitätsabfall japanischer Produkte durch Gastarbeitermontage und führte Deutschland als Negativbeispiel an.

Die jüngst vorgestellten Roboter-Modelle zeigten, in welchem Einsatzgebiet Japan heute auf mechanische Hilfe setzen will: Haushaltshilfen und Kommunikationspartner wie „Wakamaru“, die Therapierobbe „Paro“ und der Altenpflegeroboter „Rejina J II“ scheinen ebenso Wegbereiter zu sein, wie der Poweranzug „HAL“ von Cyberdyne (ähnliche Namensgebung ).

Japan entwickelt sich zu einem Greisenvolk, deren Vertreter ihre welke, fleischliche Hülle mit Ganzkörperanzügen zu Höchstleistung treiben. Von ihren mechanischen Dienern wollen sie sich die tägliche Arbeit abnehmen und in einsamen Stunden trösten lassen.

Kein Problem mit mechanischen Familienmitgliedern

Interessant ist hierbei, dass Japaner dem Einsatz von Robotern in besonderem Maße Akzeptanz entgegenbringen und weniger Berührungsängste zeigen als die Leute anderswo.

Es gibt die Theorie, dass sich Japaner aufgrund ihrer ureigenen Shintô-Religion, die neben dem Glauben an beseelte Natur auch und die Verehrung von leblosen Dingen beinhaltet, einfacher mit dem Gedanken an einen mechanischen Hausfreund als Ersatz oder die Ergänzung des familiären Umfelds anfreunden können.

Das mag dazu beitragen, eher aber lässt sich die Toleranz durch eine historisch gewachsene, hausgemachte Vorliebe für technische Spielerei begründen.

Mittelalterliche Holzroboter und Untergrundschrauber

Der Wissensaustausch mit den Europäern hatte zur Ausbildung erster japanischer Uhrmacher im sechzehnten Jahrhundert geführt. Da während der Edo-Zeit (1603 bis 1868) alles fremdländische Wissen, insbesondere aus dem Bereich der technischen Entwicklungen, ausschließlich Regierungskreisen zugängig war, sind nur wenige Quellen überliefert, anhand derer man die Weiterentwicklung nachvollziehen könnte.

Fest steht jedenfalls, dass teils heimlich, teils staatlich gefördert, weitergeforscht wurde. Die Familie Takeda erhielt wegen guter Beziehungen zur Regierung im Jahr 1662 sogar die Erlaubnis, einen Freizeitpark mit Automatenmuseum in Osaka zu eröffnen. Weil diese bei der Bevölkerung gut ankamen, eröffneten überall im Land ähnliche Roboterparks.

Damals entstanden erste Vorläufer heutiger Roboter, bei denen allerdings dem funktionalen Charakter der Unterhaltungsfaktor übergeordnet war. Die als Karakuri bezeichneten Automaten waren zwar noch weit entfernt von eigenständig denkenden Maschinen, konnten aber durch den Einsatz von Federn, Gewichten und Rädchen bestimmte Funktionen ohne menschliches Zutun ausführen. Dadurch erklärt sich auch die weitere Bedeutung, des Wortes. Karakuri bedeutet auch Trickserei und beschreibt das Geheimnis, das der komplizierten Technik innewohnt und Betrachter zum staunen und grübeln bringt.

Eine Abhandlung mit expliziten Bauanleitungen zu neun Automaten, die ausschließlich aus Holz und Walknochen hergestellt werden konnten, lieferte das „Karakuri-Zui“ (Abhandlung über Automaten) von Hosokawa Hanzô. Die 1796 herausgegebene Ausgabe fand reißenden Absatz, führte unter der Hand zu weiteren Nachdrucken und kostete infolgedessen den mutigen Herausgeber den Kopf. Denn nach wie vor war die Verbreitung von westlichem Wissen verboten.

Das Buch enthielt, neben Purzelbaum ausführenden Puppen, einen den Wasserfall hoch schwimmenden Karpfen und Streithähnen samt Schiedsrichter, einen ersten Karakuri, der eine praktische Funktion ausführen konnte. Der etwa 40 cm hohe Chahakobi Karakuri war fähig Tee zu servieren und wurde dadurch unter der Hand zu einem beliebten Accessoire in Kreisen reicher Kaufleute.

Liebhaber der Tenchu-Videospielserie Ähnlichkeiten zu jenen eigenartigen Holzrobotern aus dem „Amagai-Castle“-Level erkennen. Ein ähnlich nettes Detail ist der Name des Schlosses, der wohl auf den Direktor von Sony „Entertainment Robot Company“, Amagai Satoshi, verweisen soll.

Mit der erzwungenen Öffnung erster Häfen durch die US-amerikanische Flotte im Jahr 1853, begann die Zeit der unaufhaltsamen Modernisierung Japans (Meiji-Zeit). Dank der öffentlichen Wertschätzung des dafür notwendigen technischen Fortschritts durften die einst im verborgenen arbeitenden Konstrukteure ihre Erfolge danach auch in der Öffentlichkeit präsentieren.

Mechanische Botschafter für mehr Menschlichkeit

Ähnlich wie diese historischen Vorläufer der Roboter prägten auch die Modelle in SF-Geschichten der Manga– und Anime-Zeichner das positive Image der Maschinen bei den Japanern.

In westlichen Darstellungen wird gemeinhin Wert darauf gelegt, zu betonen, dass Roboter nur ein Schatten ihrer menschlichen Konstrukteure sind, die spätestens dann auf ihre Grenzen stoßen, wenn sie versuchen die irrationalen Beweggründe emotionaler Entscheidungen nachzuvollziehen.

Vielleicht wird im christlich-abendländischen Raum die Fehlerhaftigkeit der menschlichen Kreationen auch deswegen immer betont, weil niemand sich anmaßen soll, die Krone der Schöpfung durch das eigene Produkt zu übertreffen.

In den japanischen Geschichten ist alles unkomplizierter und die positiven Darstellungen von Maschinen überwiegen. Roboter sind oftmals Partner menschlicher Helden, Werkzeuge in Form von Anzügen (Mobile Suits) oder Fahrzeugen (Mechs) im Kampf gegen das Böse. In einigen Fällen übernehmen Roboter mit kindlicher Naivität sogar die Rolle des Botschafters für Moral und Anstand. Dabei belehren sie die Menschen über deren eigene, in Vergessenheit geratenen Tugenden. Beste Beispiele hierfür sind die Roboterkatze „Doraemon“ aus dem All oder „Astroboy“, der fliegenden Roboterjunge mit den Superkräften, aus der kreativen Feder Tezuka Osamus, dem Walt Disney Japans.

Die Gestaltung von Astroboy und Doraemon spiegelt außerdem die Vorliebe der Japaner für nette Dinge wieder, die sich in den vergangenen 30 Jahren zu einem Verniedlichungskult (Kawaii-Kult) entwickelt hat. Um die Akzeptanz von Robotern bei zukünftigen Kunden zu fördern, machen sich die Designer von Maschinen für Haus- und Therapiebedarf eben jenen Trend zu Nutze.

Beispielsweise werden humanoide Roboter von Menschen allgemein als angenehmer empfunden. Was wiederum für die Gestaltung von Robotern im Haushaltsbedarf zur Folge hat, dass die Konstrukteure sich mit dem Problem der besonders schwierig nachzuahmenden zweibeinigen Fortbewegung auseinandersetzen müssen – aber verständlicherweise möchte niemand direkt nach dem Aufwachen von einem über die Zimmerdecke herbeieilenden, spinnenbeinigen Roboter den Morgenkaffee oder Hausschuhe gebracht bekommen.

Warum sind Japans Roboter so anders?

Die Frage, warum gerade die Erfolge japanischer Ingenieure immer wieder zu Begeisterungsstürmen bei Freunden der Robotertechnik führen, lässt sich also nicht alleine mit der Fülle von Funktionen und Einsatzgebieten der Maschinen begründen. Ebenso spielen Grundlagen, wie der hohe technische Entwicklungsstand des Landes und damit die Möglichkeit, Investititonen in Milliardenhöhe zu tätigen, hierbei eine eher untergeordnete Rolle.

Die zukünftigen Einsatzgebiete der Roboter fordern ein angepasstes Design, dessen Akzeptanz den Einzug in Haushalte und Pflegeeinrichtungen sichern soll. Und gerade in diesem gestalterischen Punkt treffen die Japaner einen internationalen Nerv. Das Besondere ist der typisch japanische Charakter der Konstruktionen, denen man die historisch gewachsene Vorliebe für technische Spielerei, das Trickreiche und das Niedliche ansehen kann. Und eben dieses Merkmal ist es, welches auch den Betrachtern hierzulande ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubert und manchen daran erinnert, wie er sich als Kind die mechanischen Helfer der Zukunft an seiner Seite vorgestellt hat.

Auch wenn Rückschläge, wie der Treppenabsturz von Hondas „ASIMO“ während einer Präsentation, den Aufwand seiner Ingenieure in Frage stellen könnten, so nähern sie sich doch unaufhaltsam ihrem hochgesteckten Ziel, welches schon zu Forschungsbeginn vor 30 Jahren ausgesprochen wurde:

„Lasst uns einen Roboter bauen. Einen Roboter wie Astroboy“.

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