Die Guten ins Paradies, die Bösen in die Hölle? So leicht macht es der Buddhismus den Japanern nicht. Sechs verschiedene Daseinsformen im ewigen Kreislauf der Wiedergeburt und für jedes Vergehen gibt es einen qualvollen Zwischenstop in einer speziellen Hölle. Gut, dass die buddhistischen Mönche bei ihrer Ankunft in Japan gleich noch ein paar Erlösungsstrategien mit im Gepäck hatten.

Shinto für’s Leben, Buddhismus für den Tod

Bevor der Buddhismus im siebten Jahrhundert das Inselland erreichte, kamen die Japaner ohne konkrete Jenseitsvorstellungen aus. Nach shintoistischem Glauben verläßt die Seele eines Menschen nach dessen Ableben den Körper und überdauert die folgenden 33 bis 49 Jahre auf Erden. Erst danach geht sie in das Reich der Vorfahren ein und wird eins mit den Sippen-Kami, den göttlichen Urahnen.   Shintoismus ist eine diesseitsbezogene Religion. Die Rituale jener urjapanischen Kulte konzentrieren sich auf das Leben. Ihre Priester schliessen Ehen, bitten die Götter um eine reiche Ernte, gesunden Nachwuchs oder beruflichen Erfolg. Der Buddhismus hingegen kümmert sich um Unglück und Krankheiten, Bestattungen und rastlose Geister. Der Shinto für das Leben, der Buddhismus für den Tod, sagen die Japaner. Deshalb gehören auch etwa zwei Drittel aller Einwohner gleichzeitig beiden Religionen an.   Die Glaubensrichtungen arrangierten sehr schnell und ohne große Glaubenskriege. Die neue Religion aus Übersee galt besonders am Kaiserhof als schick und wurde direkt nach der Ankunft erster buddhistischer Geistlicher übernommenen. Die gängigsten Shinto-Sippengötter wurden kurzerhand zu buddhistischen Heiligen erklärt.  Ab dem 10. Jahrhundert wurden die Vorstellung dann auch beim einfachen Volke populär. Die lebensfrohen Japaner lernten dadurch aber auch, dass ihr Dasein eigentlich nichts als Leiden bedeutet.

Weltenbummler im Geburtenkreislauf

Buddhisten, in Japan übrigens Mahayana-Buddhisten, gehen davon aus, dass das Leben nur einer von vielen Existenzabschnitten im ewigen Geburtenkreislauf (Samsara) ist. Schlechte Taten werden in eine Art negative Schicksalswährung, in Karma, umgerechnet. Davon hängt ab, in welche von sechs Welten ein Verstorbener als nächstes wiedergeboren wird. Allerdings ist für Buddhisten das Leben an sich leidvoll. Um diesem Kreislauf ein für allemal zu entkommen, streben sie den Eintritt ins Nirwana an. Diesen Ort oder eher diesen Zustand erreichen Erleuchtete, durch ihre untadelige Lebensführung.

Es gibt übrigens auch ein Paradies (Gokuraku), eine Art Wartezimmer für die Erlösung, aus dem der Abstieg in niedere Lebensformen glücklicherweise nicht mehr möglich ist. Auf alle Anderen wartet nach dem Tod eine der sechs möglichen Existenzformen. Zwei davon haben allerdings auf ihrem Überlieferungsweg aus Indien über China und Korea ihre Bedeutung fast gänzlich eingebüßt: Die sterblichen Götterwesen (Devas) und die Kriegergeister (Ashura) wurden aus dem japanischen Daseinsspektrum aussortiert.  Übrig geblieben sind die Tiere, die Menschen, die Gepeinigten der verschiedenen Höllen und die Hungergeister (Gaki).

Willkommen im Fegefeuer

In welche Art von Körper verstorbene Japaner hineingeboren werden, entscheidet der Unterweltenherrscher Enma O. Das bedeutet auch, dass erst einmal jeder vor den Höllenrichter treten muss. Und wer glaubt, ohne Sünde zu sein, dem sei gesagt, dass im Buddhismus ein strenges Tötungsverbot gilt. Schon einmal auf eine Mücke geklatscht oder einen Burger gegessen? Dann sehen wir uns in der Hölle wieder.

Beim Abstieg in die Unterwelt müssen zunächst die drei Furten durchquert werden. Am Ufer lauert die Datsue Ba – die Alte, die den Toten das Gewand auszieht. Die durchnässte Kleidung hängt sie in die Zweige eines Baums. Dieser ist eine Art Sündenwaage: Je tiefer sich die Äste unter dem Gewicht neigen, desto sündenvoller war das Leben des Neuankömmlings und desto grausamer fällt natürlich die Bestrafung aus. Wer meint besonders schlau zu sein und die Kleidung kurz vorher abstreift, dem reisst die Alte übrigens einfach die Haut vom Leib und wiegt diese stattdessen.

Audienz beim König der Hölle

Die Nackten übernehmen dann die Höllenwächter Gozu und Mezu, wörtlich Ochsenkopf und Pferdegesicht, und schleifen diese vor den Höllenrichter Enma O. Dieser ist unbestechlich, denn er verkörpert die unerbittliche Konsequenz des Karmas. Seine Kleidung ähnelt der eines chinesischen Justizbeamten, auf seiner Mütze prangt das chinesische Schriftzeichen für König. Er hat stechende, große Augen, einen langen, schwarzen Bart und sein Gesicht ist feuerrot.

Wie der Nikolaus sieht der Totenrichter  alles. Umringt von meistens zehn Mitgliedern seines Gerichtstribunals und einer Horde teuflischer Schergen, den Oni, bewertet er die Taten der Verstorbenen. Hierzu befragt er die beiden Seelen (oft als Männer- und Frauenkopf dargestellt), die jeden Menschen vom ersten Tag an begleiten und sich alle guten wie bösen Taten merken. In seinem Spiegel müssen sich die Angeklagten noch einmal alle ihre Sünden anschauen. Dann wird entschieden, wie lange und in welcher Hölle diese verbüßt werden.

Eine Hölle für jede Sünde

Für jedes Vergehen gibt es eine spezielle Hölle – im Prinzip acht Fegefeuer-Ebenen, die allerdings je nach Auslegung zahlreiche Unterabteilungen haben können. Hier werden die Verurteilten, zerstampft, zerhackt, verbrannt, von Tieren zerrissen, gekocht und vieles mehr. Die Bestrafung übernehmen die Oni, gehörnte Dämonen der japanischen Sagen.   Schnell merkten auch Japans Herrscher, dass Angst vorm Jenseitsgericht ein prima Motor für Gesetzestreue sein kann und förderten die Herstellung von immer weiter ausgeschmückten Höllenqualorgien in Bildrollenform. So wussten bald Händler, die niemals dabei erwischt wurden, wenn sie bei der Menge oder Qualität ihrer Waren betrogen, dass ihnen eine Wiedergeburt in der Hölle des Maßnehmens droht. Dort müssen sie sich Fleischstücke aus dem Leib schneiden und diese auf eine Wage legen, um ihre Betrügereien aufzuwiegen.   Diebe sollten sicher sein, in der Hölle des Eisernen Mörsers zerstampft und zermahlen zu werden. In der Hölle der Exkremente stehen Mörder und Plünderer bis zum Hals in Fäkalien, während riesige Maden ihren aufgeweichten Körper verzehren. Brennende Steine regnet es auf die Häupter derer, die Reisende überfallen haben. Daneben gibt es einen kochenden Blutteich, der den sündhaften Frauen vorbehalten ist.

Ein Leben als Gaki-Hungergeist

Aber auch die Wiedergeburt kann ihre Tücken haben: Zum Beispiels, wenn man zum Dasein als Hungergeist verdammt wird. Das blüht im Buddhismus Menschen, die im Leben sehr gierig waren. Besonders grausam an einem Leben als Gaki ist, dass diese von unstillbarem Durst und Hunger getrieben werden, sich aber ausschließlich von Fäkalien, Urin und Leichenteilen ernähren müssen.  

Erlösung naht: Bodisattva in Aktion

Religion soll  aber nicht nur Angst machen, sondern vor allem auch Trost spenden. Was nützen all die Schreckensszenarien, wenn es nicht auch jemanden gibt, der die Menschen vor diesem Schicksal bewahren kann? Hier kommen die buddhistischen Heiligen ins Spiel, allen voran die Bodhisattva. Diese haben die angestrebte Erleuchtung bereits erreicht. Anstatt aber den letzten Schritt ins Nirvana zu gehen, wandeln sie zwischen den Welten, um Lebewesen von ihren Leiden zu erlösen. An jene Superhelden richten Buddhisten vornehmlich ihre Gnadenersuche für verstorbene Verwandte vorn.   Getrieben vom Mahayana-Idealbild des Bodhisattvas bieten auch buddhistische Mönche durch Gebete und Rituale Erlösung – gerade für Yurei-Rachegeister, die nach ihrem Tode zwischen den Welten festhängen, aber auch für die Gaki und die Höllengepeinigten. Der Buddhismus hat also das Inselland mit seiner Ankunft erst um die Vorstellung von Jenseitswelten erweitert und dann gleich seine Vertreter als Erlösungshelfer mitgebracht. Die Japaner haben dies gerne angenommen, weil ihre ursprüngliche Religion keine befriedigenden Antworten auf jene letzten Fragen parat hatte. Nun ist Weg zur Erlösung also definiert. Da heisst es Karma vermeiden.

Mehr gibt’s hier

Zum Thema Religion Japans gibt es kaum eine interessantere Info-Seite als die der Uni Wien. Budhismuskunde und Jenseitswelten zum Nachlesen auf der Homepage der Uni Hamburg.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Maria Sand

    Hallo! Finde sehr interessant was man hier zu lesen findet. Der Stil gefällt mir auch. :) Sehr viel erfährt man auf deutschen Seiten über japanische Religion leider nicht. Hier füllt man eine große Lücke sehr gut aus.