Japan hat nach dem 2. Weltkrieg einen Turbo-Modernisierungssprung hingelegt. Davon ist kein noch so traditioneller Bereich verschont geblieben: Neben Sumo-Kämpfen füllen heute auch Baseball-Spiele die Sportarenen, in Tokio gibt es mehr McDonalds-Fillialen als Sushi-Restaurants und auch die Begleitdamen der schönen Künste – die Geisha – haben mit neuer Konkurrenz zu kämpfen.  Hosts und Hostessen haben sich auf die Wünsche einer modernen Gesellschaft spezialisiert, bieten sich als Zuhörer, Schwarm und Party-Freunde zugleich an.

Kein Call-Girl im Kimono

Scharf wie eine Rasierklinge ist der blutrote Mund in das weiße Porzellangesicht geschnitten, nachtschwarz glänzt das kunstvoll geschlungene Haar, das makelose Gesicht zeigt ein rituelles Lächeln.  (Reisejournalistin Hanna Glaser)

Passender kann man eine Geisha wohl kaum beschreiben. Seit über 300 Jahren versüßen sie Edelleuten und reichen Kaufmännern die Abende. Um das gleich vorweg zu nehmen: Sex gehörte nie zum Service der anmutigen Schönheiten. Sie sind eher eine Hostess, deren künstlerische Fähigkeiten – Musik, Tanz und Teezeremonie –  im Mittelpunkt des Abendprogramms stehen. Für Ausländer bleiben solche Treffen meist ein Wunschtraum – nicht zuletzt, weil Männer aus dem Westen sich nur selten die Mühe machen, zu verstehen, dass eine Geisha ein lebendes Kunstwerk ist – und eben kein Call-Girl im Kimono.

Dieses Schmuddel-Vorurteil hält sich übrigens deshalb so hartnäckig, weil einst die Oiran, Prostituierte der Edo-Zeit, und später die Geisha-Girls, Freudenmädchen der US-Besatzungstruppen, den Kleidungs- und Schminkstil jener japanischen Idealfrauen kopierten, um ihren Kunden etwas besonderes zu bieten.

Heute ein König: Ab in den Host-Club

Die Abende mit Arbeitskollegen im Kreise attraktiver Mietbegleitung zu verbringen, ist Teil moderner Lebenskultur erfolgreicher Geschäftsleute in Ostasien. Hostessen und ihre männlichen Vertreter, die Hosts, werden zwar zum Mizushobai, dem japanischen Rotlichtmillieu, gezählt, sind aber ebenso wie ihre klassischen Vorläufer – die Geisha –  ausschließlich zur Unterhaltung gebucht. Hostess zündet Zigaretten an, fülllt die Gläser nach und prostet an, lacht über tumbe Witzeleien und applaudiert den ins Mikro geträllerten Karaokesongs ihrer Gäste. Kurz: Sie  gibt den Kunden das Gefühl, heute Abend mal Mr. Sex  zu sein.

Frustsaufen mit Mama-san

Wer sich lieber den Frust von der Seele reden möchte, geht im Hostclub an die Theke zu Mama-san, die eine Art Bardame und Seelenklempnerin für japanische Geschäftsmänner ist. Eine Mama-san hat immer ein offenes Ohr für den Ärger mit dem Chef oder die schlechten Noten der Kindern. Die eigene Frau bei Problemen mit einzubeziehen fällt vielen japanischen Männern schwer – lieber holt man sich Rat von Dritten, die ein Geheimnis für sich bewahren können.

Einmal Instantpartner Musashi, bitte!

Die männliche Variante der Begleitdamen, die Hosts, sind Seelsorger und Spasskanone in einer Person. Die meist androgynen Jünglinge mit poppigen Frisuren und guter, eng ansitzender Kleidung sehen aus, als wären sie den Seiten eines Mädchen-Manga entssprungen. Sie mimen den perfekten Flirt, Partner oder Partykumpel: Immer charmant, immer ein offenes Ohr für Probleme und immer gut drauf. Vor dem Betreten des Host-Clubs wählt man einen der Jungs aus dem hausseigenen Katalog aus.

Ihre Namen sind Geschichts-Helden oder Pop-Stars entlehnt und geben den Kundinnen Aufschluss über den verkörperten Charakter. Zum Beispiel ist Musashi ein aufbrausendes Temperamentbündel, während Hattori geheimnisvoll und Basho eher schöngeistig ist. Verstehen sich Kundin und Host miteinander, werden Nummern ausgetauscht, SMS geschrieben und kleine Geschenke verschickt – wie bei einen Flirt halt. Viele Ehefrauen holen sich bei einem Host all das, was ihr Partner ihnen nicht geben kann oder will –  meistens einfach nur einen Menschen, der ihnen zuhören kann. Auch junge Karrierefrauen, die keine Zeit in eine ernsthafte Partnerschaft oder Freundschaftspflege stecken wollen, greifen auf diese unkomplizierten, aber kostspieligen, Instant-Beziehungen zurück.

Heiratsschwindel auf Bestellung

Prostitution ist in Japan verboten – übrigens ein Moralbeitrag der Besatzer aus den USA. Das Vergnügungsgewerbe hat allerdings unendlich viele – teils echt kuriose – Umwege gefunden, damit jeder Nachtschwärmer auf seine Kosten kommt.

Ihr Geld verdienen Hosts und Hostessen über die Bestellungen der Kunden im Club. Snacks, Alkohol und kleine Entertainment-Einlagen kosten dort Unsummen. Je höher die Rechnung für den Kunden, desto höher die Prämien. Herr Keiichi, der heute mehrere Host-Clubs in Osaka leitet, verdiente in seinen besten Zeiten etwa 160.000 US Dollar monatlich. Dazu kommen häufig noch private Extrazuwendungen: Teure Armbanduhren, Anzüge,  gemietete Apartments oder gleich ein Auto. Das Gefühl zu vermitteln, kurz vor dem Durchbruch zu stehen – kurz davor zu sein, dass der tolle Mietpartner sich auch verliebt –  ist die hohe Kunst des Gigolo-Daseins. Schon alleine deshalb sollte ein Host davon absehen, Sex mit den Kunden zu haben.

„Die meisten kommen danach nicht mehr wieder, geben keine Drinks mehr aus – die goldene Gans ist dann geschlachtet.“

(Gert Anhalt in der Dokureihe „Es muss nicht immer Sushi sein“)

Traumgehälter nur für die Besten

 Der erste Host-Club eröffnete 1966 in Tokio. Heute schießen sie wie Pilze aus dem Boden, während die Geisha kaum noch Auszubildende finden. Das liegt wohl auch daran, dass eine Geisha den Weg ins Vergnügungsgewerbe bewusst einschlagen muss, ihre Familie in jungen Jahren (traditionell mit sechs Jahren, sechs Monaten und secht Tagen) verläßt, um eine knallharte Ausbildung zu beginnen. Hosts dagegen sind fast immer gescheiterte Glücksjäger, die über den Quereinstieg an das große Geld kommen wollen.   Der Konsumanspruch der Japaner ist seit dem Wirtschaftsboom in den 60 ern immer weiter gestiegen, obwohl der japanische Finanzmarkt in den vergangenen 20 Jahren gleich zweimal in sich zusammengebrochen ist. Arbeitsmarktsitiuation und Karrierechancen für junge Leute sind katastrophal – ein Uni-Abschluss schon längst kein sicheres Ticket mehr zu Glück und Wohlstand. Schulden, mangelnde berufliche Perspektiven oder die Suche nach einem sozialen Umfeld sind daher auch die Hauptgründe, für den Eintritt ins Host-Club-Geschäft

Reich wird dort allerdings kaum einer. Das Grundgehalt ist mehr als bescheiden – zu Geld kommt nur, wer die Spendierfreude seiner Kunden bis zum Exzess antreibt. Wer ein paar schlechte Abende hat, kann dann auch mal mit einen Mini-Jobber Gehalt am Monatsende dastehen. In einigen Host-Clubs zahlen die jungen Männer sogar Strafe, wenn sie keine Buchungen vorweisen können. Viele Hosts wie Hostessen leiden zudem unter Depressionen, Schlafmangel und den täglichen Alkohol-Exzessen. Wer nicht in ein paar guten Jahren viel Geld macht, hat die Chance vertan. Die Arbeitszeiten von Sonneruntergang bis Sonnenaufgang machen es außerdem unmöglich, sich einen Freundeskreis jenseits des Mizushobai aufzubauen. Es klingt geradezu paradox, dass aus diesem Grund viele junge Frauen und Männer der Branche ihr Gehalt ebenfalls in Host-Clubs auf den Kopf hauen – bei ihren Scheinfreunden und Wunschpartnern. (Doku: Jungs aus Osaka erzählen, warum sie Host geworden sind (Japanisch mit englischen Untertiteln)   Das Ansehen gerade von Hostessen ist aber nach wie vor erstaunlich gut. Gut 22 Prozent der japanischen Oberschülerinnen können sich vorstellen, später einmal in dem Bereich Karriere zu machen. Für die meisten Mädchen sind die Begleitdamen so etwas wie Pop-Idole oder Prinzessinnen, die sich in einer glamourösen Luxuswelt bewegen, sehr schnell sehr viel Geld verdienen und interessante, einflußreiche Menschen treffen, von denen sie bewundert werden.

Sind Geisha nicht mehr zeitgemäß?

Wie alles traditionelle in Japan bangen auch die Geisha um ihre Existenz. Die Ausgehgewohnheiten der modernen Japaner haben sich geändert, die Vergnügungsindustrie hat Japans lebenden Nationalsymbolen eine zeitgemäße Konkurrenz an die Seite gestellt. Als Folge bleiben in den Geisha-Schulen die Anwärterinnen aus. Natürlich wird es Japans Stilikonen immer geben, wie es auch  immer noch traditionelle Ama-Perlentaucherinnen oder Samurai-Schwertschmiede gibt. Aber die große Zeit der Geisha ist vorbei und immer seltener werden diese Schönheiten abends durch die Straßen huschten. Dort stehen nun fleischgewordene Manga-Schönheiten und planen ihren Verabredungsmarathon per Mobiltelefon.

Denn Träume von Glück und Liebe, wie sie sie verkaufen, sind gefragter denn je.   (Gert Anhalt)

Noch mehr Hosts und Geisha

Zum Thema Geisha fällt mir nur ein recht naheliegenden Lesetipp ein: „Die wahre Geschichte der Geisha“ von Iwasaki Mineko. Ist die Lebensgeschichte der Autorin und lohnt sich in jedem Fall zu lesen.

Dokus und Reportagen über Japans neue Begleitservice gibt es auf youtube: „Tokyo Hostesses“ von nytimes.com; „Why I became a Gigolo“ ; „Rent a Boyfriend in Japan“ von  Metropolis web-tv.

Tolle Fotoserien über Hosts und Nachtleben hat Manabu Numata herausgebracht. Mehr über seine Arbeit:  Gibt’s hier!

Wer selber mal sein Gigolo-Glück ausprobieren mag sollte sich die Playstation 2 und  3 Gangster-Videospielserie Yakuza geben. Triff dich in einer Hostessen Bar mit einem Mädchen deiner Wahl und schau, wie schnell dein hart Verdientes verschwindet. Bei Yakuza 2 kann man sogar selbst als Host Arbeiten.

Einen tollen Blog Artikel zu Host-Dates in Video-Spielen gibt es hier.

Und zuletzt ein Musikvideo von Hosts, die in Japan zu Superstars wurden. Die Songs der Hipcats vom Club „SMILEY*2“ gibt’s auch zu kaufen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Anonymous

    cooler artikel. wieder ein weißer fleck in meinem wissenspeicher beseitigt.

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